Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 1 - Der unsterbliche Prinz
Cayal! Muss ich erst irgendwas töten, um deine Aufmerksamkeit zu erringen?«
»Gezeiten!«, rief Arkady verärgert. »Was auch immer du sonst tust, Cayal, kannst du bitte dafür sorgen, dass er endlich still ist?«
»Mit Freuden.« Er zog ihre Arme von seinem Nacken und hielt sie fest, seine Augen suchten ihren Blick. »Du musst warten, bis ich die Hütte verlassen habe. Komm nicht mit mir hinaus. Und lass Jaxyn niemals auch nur ahnen, dass du mir etwas anderes als Verachtung entgegenbringst. Er findet sonst einen Weg, es gegen dich zu verwenden, so sicher, wie die Flut kommt.« Oder schlimmer, ergänzte er in Gedanken, er könnte versuchen, dich gegen mich auszuspielen, und wenn die Flut kommt, könnte sich das als verheerend erweisen.
»Passt du auf dich auf?«, fragte sie und musterte ihn scharf. In ihrem Gesicht spiegelte sich mehr, als sie dachte. Andererseits war Cayal sehr gut im Deuten von Gesichtsausdrücken, selbst bei gut gehütetem Mienenspiel. Schließlich war er achttausend Jahre alt. Er war gut in allem.
»Ich bin unsterblich, Arkady.«
»Das habe ich nicht gemeint.«
Er zuckte mit den Schultern. »Ich weiß zu schätzen, dass du um mich besorgt bist, wirklich. Aber verschwende deine Zeit nicht auf den Versuch, zu beheben, was mit mir nicht stimmt, Arkady. Glaub mir, meine Scherben sind nicht mehr zu kitten.«
»Das glaube ich nicht, Cayal«, sagte sie, und ihre Augen schimmerten plötzlich. Er hatte den Verdacht, dass sie zu stolz war, um vor ihm zu weinen, und zu klug, um vor Jaxyn zu weinen, aber dass sie überhaupt an ihn glaubte, machte ihn sprachlos. »Das will ich nicht glauben.«
»Dann bist du eine Närrin«, sagte er sanft und küsste sie ein letztes Mal mit brennender Zärtlichkeit. Eines war gewiss: Das Beste, was er für Arkady Desean tun konnte, war, aus ihrem Leben zu verschwinden. Wenn er sie nie wieder sah und nie wieder mit ihr sprach, wäre sie sicherer. Und vermutlich auch glücklicher.
Es hat noch nie zu etwas Gutem geführt, wenn ein Gezeitenfürst eine Sterbliche liebte.
Der ungebetene Gedanke erschreckte ihn, und er rückte von ihr ab. Er machte sich bewusst, dass er kurz davor war, sich Gefühle zu gestatten, denen er vor langer Zeit abgeschworen hatte, weil sie mehr Schmerzen bereiteten, als sie wert waren.
»Wenn ich reinkommen muss, um dich zu holen, ist Schluss mit lustig, Cayal!«, rief Jaxyn, dessen Ungeduld mit jeder Minute wuchs.
»Sei vorsichtig, Cayal«, bat sie leise.
Er nickte stumm. Er konnte nicht dafür garantieren, was er womöglich sagen würde, wenn er jetzt sprach, also hielt er den Mund.
Dann kehrte er ihr den Rücken und öffnete die kleine Tür der Hütte. Er straffte die Schultern, um sich der Machtprobe mit Jaxyn zu stellen, trat ins Freie und ließ Arkady und all die widersprüchlichen Gefühle, die mit ihr zusammenhingen, hinter sich.
62
Endlich kam der unsterbliche Prinz aus der Hütte. Jaxyn hatte schon erwogen, doch hineinzugehen und Maralyces Zorn auf sich zu ziehen, falls etwas kaputtging. Doch das war nicht mehr notwendig. Cayal trat aus der Tür. Er trug immer noch Gefängniskleidung, ansonsten war er unverändert, seit sie sich zuletzt gesehen hatten, was länger her war, als ihn interessierte.
Jaxyn war ein bisschen enttäuscht. Natürlich wusste er, dass Cayal sich nicht verändert haben konnte. Trotzdem – seine etwas größere Gestalt, die breiten Schultern, auch die scharfen blauen Augen, die in Jaxyns Geburtsland so selten waren – all das ärgerte ihn auf eine Art, die er nicht erklären konnte. Vielleicht gründete seine Aversion auf simpler Eifersucht, wie Diala mal behauptet hatte, aber eigentlich hielt sich Jaxyn für erhaben über derart kleinliche Gefühle.
Die Wahrheit war viel einfacher und lief auf Folgendes hinaus: Cayal hatte Jaxyn die ganze Unsterblichkeit verdorben.
Bis dieses großäugige Prinzlein auftauchte, war Jaxyn der Edelste der Unsterblichen gewesen. Von hoher Geburt und stolz darauf, war er derjenige, den die anderen achteten. Als Syrolee und Engarhod beschlossen, sich zum Kaiser und zur Kaiserin der Fünf Reiche zu krönen, war es Jaxyn, an den sie sich um Rat wandten, wie ein königlicher Hof zu fuhren war. Die anderen sahen zu ihm auf, denn ihre schlichten Provinzgemüter nahmen die Bewunderung für alles Hochgeborene mit in die Unsterblichkeit.
Und dann kam der verdammte unsterbliche Prinz des Wegs. Der blöde Zufall der Geburt, das war alles, worauf sein erbärmlicher Titel sich
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