Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 1 - Der unsterbliche Prinz
Stehlen ist böse, Lügen bringen dir nichts als Schwierigkeiten, du wirst von einer haarigen Spinne verschlungen, wenn du dein Gemüse nicht isst … solche Sachen.«
»Ich erinnere mich an die Geschichte mit der haarigen Spinne«, lachte Stellan. »Als ich klein war, hatte ich ein Crasii-Kindermädchen mit einem besonderen Talent zum Geschichtenerzählen. Das erste Mal, als ich mein Gemüse nicht hatte essen wollen, war ich zu verängstigt, um einzuschlafen.«
»Nun, ich hatte nie ein Crasii-Kindermädchen, aber ich wuchs mit der festen Überzeugung auf, dass unter den Dielen eine Familie von winzigen Mördern lebte, die mitten in der Nacht, wenn ich schlief, herauskommen und mich kaltmachen würden, wenn ich auch nur mit dem Gedanken spielte, mich aus dem Fenster meines Schlafzimmers davonzumachen.«
»Euer Großvater hat Euch das erzählt?«, fragte Stellan überrascht. Er selbst hatte Shalimar Hawkes noch nie kennengelernt, doch so, wie Arkady über ihn sprach, musste der alte Mann fast ein Kandidat zum Heiligsprechen sein.
Declan lächelte über Stellans verblüffte Miene. »Ich war damals eine ganz schöner Satansbraten. Großvater fand wohl, mir Angst zu machen, damit ich brav daheimblieb, war der zweckdienlichste Weg, die nötige Nachtruhe zu gewährleisten.«
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass Ihr vor irgendetwas Angst habt, Declan.«
»Fragt Arkady, wenn Ihr mir nicht glaubt«, schlug er vor. Der Erste Spion wirkte vergnügt. Und viel entspannter, als Stellan angenommen hatte. »Die Erinnerung an die winzigen Mörder macht mich heute noch fertig.«
»Daran muss ich unbedingt denken, wenn ich das nächste Mal den Ersten Spion des Königs einschüchtern will.« Die gefällige, harmlose Plauderei stellte Stellans Geduld auf eine harte Probe. Declan tat nichts ohne Grund. Er war ganz sicher nicht der Typ, der sich die Zeit gern mit müßigem Geschwätz vertrieb.
»Mit Mythen hingegen verhält es sich ganz anders«, sinnierte Declan weiter. »Das sind Geschichten, an die wir nicht wirklich glauben, weil sie zu fantastisch klingen, um wahr zu sein.«
»Denkt Ihr da an einen bestimmten Mythos?«
»Die Gezeitenfürsten sind ein gutes Beispiel«, antwortete Declan und fugte gelassen hinzu: »Und es gibt einen besonders schönen Mythos, den ich erst kürzlich gehört habe, über eine Fürstin, die einen Mörder freiließ.«
Stellan starrte Declan an und versuchte festzustellen, ob der Mann nach Informationen fischte oder tatsächlich etwas wusste. Wenn er bereits einen konkreten Verdacht hatte, konnte eine Lüge jetzt verhängnisvolle Folgen haben.
Aber wenn der Erste Spion lediglich Vermutungen anstellte … Stellan konnte es nicht riskieren. Er schluckte den Kloß in seinem Hals hinunter und zuckte die Achseln. »Die Dinge sind oftmals nicht so, wie sie scheinen.«
»Dem stimme ich vorbehaltlos zu.«
»Ihr wollt eine Erklärung, nehme ich an?«
»Lasst uns mit den Fakten beginnen«, schlug Declan vor. »Arkady ist nicht oben und ruht sich aus, wie Ihr und Lady Ponting den König glauben macht, oder?«
Stellan rang um äußerliche Gelassenheit und zögerte. Schließlich entschied er, dass ihm fürs Erste mit der Wahrheit besser gedient war. Oder mit Bruchstücken von Wahrheit. »Nein.«
»Dann ist sie also auch nicht schwanger, oder?«
»Sie könnte es sein. Ich habe sie in letzter Zeit nicht danach gefragt.«
»Und der Häftling, den sie mit Eurer Genehmigung aus dem Gefängnis geholt hat? Wo ist der?«
»Wenn ich Glück habe, ist er bei Arkady – wo immer sie sein mag –, und sie ist noch am Leben, und er lässt sie gehen, sobald er sich nicht mehr bedroht fühlt.«
Declan schien ein wenig überrascht. »Wollt Ihr damit sagen, Ihr wusstet Bescheid?«
Stellan sah Declan an und zog eine Augenbraue hoch. »Habt Ihr angenommen, ich wüsste nicht Bescheid?«
»Seine Entlassung war mehr als nur ein bisschen ungewöhnlich, Euer Gnaden.«
»Es war ungewöhnlich«, stimmte Stellan zu. »Aber Ihr kennt Arkady besser als irgendjemand sonst. Sie war völlig überzeugt, dass sie kurz davor war, ihn zu entlarven. Als der König befahl, ihn an Euch zu überstellen, bat sie mich um eine letzte Chance, ihn zu befragen. Ich dachte, es könnte nicht schaden, und hatte nichts dagegen, also schickte ich sie mit einer Crasii-Eskorte und einem Entlassungsschreiben zum Gefängnis, damit sie ihn auf dem Rückweg befragen konnte, bevor sie Euch den Gefangenen übergab. Sie machten bei Clydens Gasthof Rast, um
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