Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 1 - Der unsterbliche Prinz
Zwangsjacke und einer Phiole Laudanum.
Große Hoffnungen brauchte er sich allerdings nicht zu machen, dass ein menschlicher Gelehrter seine Behauptung bestätigen konnte. Und dann auch noch eine Frau. Wenn man bedachte, was glaebische Männer im Allgemeinen von gebildeten Frauen hielten, dann musste diese Fürstin entweder eine verwöhnte Erbin sein, die in ihrer unendlich bemessenen Freizeit Akademikerin spielte – das wäre schon schlimm genug. Oder aber sie nahm sich als Forscherin wirklich ernst, dann würde sie ihn endlos ausfragen über Sachverhalte, die sie in Wahrheit nie überprüfen konnte.
Er wusste nicht genau, welche Variante schlimmer war.
Diese glaebische Fürstin konnte sich als weit üblere Folter erweisen als die Schlinge.
Das war eben das Problem, wenn man sich tausend Jahre lang versteckte – die Leute vergaßen einen. Oder aber sie verdrehten die Geschichte so lange, bis man zu einem bloßen Mythos wurde. Sie verleugneten, dass man existierte, bis man sich schon selber fragte, ob es einen wirklich gab oder ob man womöglich nur ein Hirngespinst war, eine Ausgeburt der eigenen Fantasie.
Cayal verschränkte die Hände hinter dem Kopf und schloss die Augen. Immer noch verwünschte er seine eigene Dummheit. Es war schlichtweg irrsinnig von ihm gewesen, zu glauben, er könnte sich ausgerechnet während der kosmischen Ebbe aus seiner höllischen Haft davonstehlen. Er hatte es ja schon öfter ohne Erfolg versucht. Zudem gab es reichlich Belege dafür, wie sinnlos sein Unterfangen war. Trotz allem, was sie einander über all die Jahre angetan hatten, war es keinem der Gezeitenfürsten je gelungen, einen anderen umzubringen.
Aber Cayal hoffte immer noch auf einen Ausweg. Es erstaunte ihn selbst ein wenig, dass er immer noch zur Hoffnung fähig war.
Oder vielleicht auch nicht. Ehe die gnadenlose Bürde der Unsterblichkeit ihn auslaugte, war Cayal ein unverbesserlicher Optimist gewesen. Noch unter den grässlichsten Umständen harte er stets geglaubt, die Dinge würden sich irgendwie zu seinen Gunsten wenden. Manchmal grenzte es schon an Idiotie. Es war ein Charakterzug, den er in die Unsterblichkeit mitgebracht hatte – so war er schon immer gewesen, lange bevor das Schicksal in seine Zukunft eingriff und sie so endlos ausdehnte.
Und anscheinend war er heute noch so. Nur ein blinder Optimist konnte glauben, ein Unsterblicher könnte eine Methode finden, um zu sterben.
Nach einer Weile döste Cayal auf seiner Pritsche ein. In den nächsten Tagen und Monaten würde das wohl seine Hauptbeschäftigung sein. Hier im Rückfälligentrakt gab es sonst nicht viel zu tun. Das Haftsystem von Glaeba setzte auf Strafe, nicht auf Besserung. Niemand gab auch nur vor, dass man versuchte, Verbrecher zu läutern. Es ging darum, sie wegzusperren. Wenn die Häftlinge unter ihrer Haft litten, war das umso besser.
Während er dalag und döste, träumte Cayal von lang vergangenen Orten und Menschen, deren Namen er nicht mehr wusste. Wenn er schlief, drängten sich die Erinnerungen von Jahrtausenden in seine Träume, manchmal bruchstückhaft, manchmal mit erstaunlicher Klarheit, gerade so, als durchlebte er die Szenen wieder aufs Neue. Zuweilen konnte er es nicht ertragen, auch nur die Augen zu schließen. Zu anderen Zeiten suchte er Erlösung im Schlaf. Dann sprachen Gesichter aus seiner Vergangenheit in seinen Träumen mit ihm. Oft wusste er ihre Namen nicht mehr oder konnte sich nicht erinnern, wann und unter welchen Umständen er sie gekannt hatte.
Doch einige Gesichter waren alle Zeit hindurch bei ihm geblieben. Diese Erinnerungen waren zu eindringlich, um zu verblassen, selbst im uferlosen Strom der Unendlichkeit.
So wie heute. Gabriella kam ihn besuchen. In irgendeinem Winkel seines Bewusstseins wusste Cayal, dass er sie nur träumte. Denn diese Frau hatte er gekannt – und geliebt –, lange bevor er unsterblich wurde. Gabriella war einst seine Zukunft gewesen. Nun war sie zu einem endlos fernen Teil seiner Vergangenheit geworden. Alles, was ihm von ihr blieb, war dieser eine, unregelmäßig wiederkehrende Traum.
Niemand, der heutzutage lebte, erinnerte sich an Gabriella. Nur Cayal konnte immer noch ihr langes braunes Haar vor sich sehen, ihre betörenden Augen, ihre helle, makellose Haut, ihr kehliges Lachen, ihren hinreißenden Körper. Sie war die Tochter eines Adligen, und wem der feine Stoff ihrer Gewänder das nicht verriet, der erkannte es sofort an ihrer Haltung. Stolz war sie gewesen, seine
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