Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 1 - Der unsterbliche Prinz
Entschuldigung wirklich ernst gemeint war. Schließlich nickte sie und teilte den Rest der Karten aus. »Das Tarot verdient Respekt, wisst Ihr.«
»Natürlich.«
»Beim letzten Weltenende haben Menschen ihr Leben gegeben, um das Tarot zu retten.«
Arkady nickte ernsthaft. »Oh ja, schlimm.«
Tilly starrte sie erbost an. »Einige von uns nehmen große Mühen auf sich, um sicherzustellen, dass das Wissen um die wahre Natur der Gezeitenfürsten nicht verloren geht, Arkady. Diese Überlieferung darf nicht verblassen. Das ist eine schwere Aufgabe, die wir sehr ernst nehmen. Wenn Euch nichts Besseres einfällt, als Euch darüber lustig zu machen, könnt Ihr Euch eine andere suchen, die Euch vom Tarot erzählt.«
»Einige von uns?« –, fragte Arkady lächelnd. »Das klingt, als gehörtet Ihr einer riesigen Verschwörung an, die Gezeitenfürstenkunde betreibt.«
Tilly sah richtig wütend aus. »Es gibt Geheimnisse, die es wert sind, bewahrt zu werden, Arkady.«
»Geheimnisse?« jetzt begann diese Angelegenheit doch etwas bizarr zu werden, und mit Sicherheit war es das erste Mal, dass Arkady die Freundin so ernst sah. Obwohl ihr klar war, dass Tilly absichtlich den Anschein erweckte, nur eine harmlose exzentrische Witwe zu sein, hatte Arkady das immer für eine Strategie gehalten, um nicht wieder heiraten zu müssen. Nicht im Traum wäre ihr eingefallen, dass es dafür einen anderen Grund geben könnte. Und schon gar nicht etwas so Triviales wie ein DeckTarotkarten.
Tilly nahm die Karte in die Hand, die ihr am nächsten lag, und reichte sie Arkady. »Ich habe schon zu viel gesagt. Nun lasst uns weitermachen.«
»Tilly«, fragte Arkady neugierig, »glaubt Ihr etwa, dass es die Gezeitenfürsten wirklich gibt?«
Einen Augenblick lang schwieg die alte Frau, dann zuckte sie die Schultern. »Was ich glaube, spielt keine Rolle. Ihr seid diejenige, die einen Unsterblichen zu befragen hat. An diesem Punkt ist viel wichtiger, was Ihr glaubt.«
Diese Antwort überraschte und beunruhigte Arkady. So hatte sie ihre alte Freundin noch nie erlebt. »Es tut mir leid, Tilly«, sagte sie rasch. »Ich will nicht spotten, weder über Euch noch über das, woran Ihr glaubt.«
»Nun«, antwortete Tilly in einem frostigeren Ton, als Arkady erwartet hatte, »dann lasst uns jetzt zum Kaiser der Fünf Reiche kommen …«
Es war schon weit über die Mittagszeit, als Arkady am Gefängnis ankam, der Tag wolkenverhangen und düster. Ohne weitere Förmlichkeiten führte man sie durch die deprimierenden Hallen und Gänge zum Rückfälligentrakt hinauf. Inzwischen waren die Wächter so an ihre Besuche gewöhnt, dass sie sie im Vorübergehen mit ihrem Namen begrüßten.
Als sie den Rückfälligentrakt erreichte, war sie überrascht, mit wie viel Freude sowohl Cayal als auch Warlock sie begrüßten. Cayals Lächeln brachte sie ziemlich aus dem Tritt. Er wirkte so erwartungsvoll, und unvermittelt blitzte in ihrem Kopf Tillys Rat zu einer Affäre mit jemand völlig Unpassendem auf. Reiß mir die Kleider vom Leib und nimm mich jetzt, du wilder Mann …
Idiotin, dachte sie streng. Sie durfte nicht vergessen, dass sie außer den Wächtern der einzige Kontakt zur Außenwelt war, den diese Gefangenen hatten. Ein Fenster zu der Welt, die ihnen bis an ihr Lebensende verschlossen war. Deshalb freuten sie sich so, sie zu sehen, schärfte sich Arkady ein. Wenn Cayal gespannt und eifrig an die Gitterstäbe trat, sobald sie kam, dann nur, weil sie in der immer gleichen Langeweile seiner Haft die einzige Abwechslung darstellte. Wenn seine Augen sich verdunkelten, sobald er sie ansah, sein Blick länger auf ihr verweilte als nötig, sein Lächeln etwas zu vertraulich ausfiel – dann hatte das überhaupt nichts zu bedeuten. Und wenn ihr Herzschlag sich bei seinem Anblick beschleunigte, hieß das nur, dass es ihr zuwider war, sich hier aufzuhalten, wo ihr Vater umgekommen war.
»Guten Tag, die Herren. Bitte entschuldigt meine Verspätung.«
»Ihr müsst Euch nicht bei uns entschuldigen, Mylady«, bekundete Warlock ernst.
»Ach … also ich weiß nicht«, widersprach Cayal. »Ich für meinen Teil finde das ganz schön.«
»Das glaube ich«, knurrte der Canide und zog sich in den hinteren Teil seiner Zelle zurück.
Cayal wandte seine Aufmerksamkeit Arkady zu. »Nun, was ist also der Grund für Eure Verspätung?«
Sie runzelte über diese Dreistigkeit die Stirn. »Ich rate Euch, mich nicht ärgerlich zu machen.«
»Eigentlich ist es mir sowieso egal.« Cayal
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