Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 2 - Die Goetter von Amyrantha
halblaut und ging auf den Thron zu. Das Geräusch seiner Stiefel hallte durch den kühlen Saal. Am Fuß des Thronbaldachins blieb er stehen und verbeugte sich vor dem neuen König von Glaeba. Er war recht förmlich gekleidet, trug einen goldenen Kronreif auf dem Kopf und eine grimmige Miene zur Schau. »Mich müsst Ihr doch nicht beeindrucken, Mat.«
»Willkommen daheim, Stellan.«
Er trat etwas näher und streckte die Hände aus. »Worte reichen nicht aus, um die Tiefe meiner Trauer zu beschreiben, Mathu, oder mein Mitgefühl für Euch und Kylia. Wie kommt Ihr zurecht?«
Mathu ignorierte die Geste absichtlich. »Es geht mir gut, danke. Wie geht es Eurer Gemahlin?«
Stellan Heß die Hände sinken und führte Mathus kühle Begrüßung auf die Unsicherheit eines jungen Mannes zurück, der, noch keine zwanzig Jahre alt, über Nacht und unter den schlimmstmöglichen Umständen zum König geworden war. »Es ging ihr gut, als ich aus Ramahn aufbrach.«
»Ihre Schwangerschaft verläuft also gut?«
Stellan schüttelte den Kopf. Auf dem Weg hatte er beschlossen, dass er Mathu nicht anlügen würde, wie er Enteny angelogen hatte. Ein neuer König war eine Chance für einen Neuanfang. Während es Dinge gab, die er nie eingestehen würde, schien es ihm ratsam, den Schlamassel zu bereinigen, den er mit der Lüge von Arkadys Schwangerschaft angerichtet hatte. »Sie ist nicht schwanger, Mat. Sie war es nie. Euer Vater hat mich unter Druck gesetzt, einen Erben zu produzieren, und wir waren dabei, ins Exil geschickt zu werden ... Es war dumm von mir, ich weiß, aber zu diesem Zeitpunkt schien es eine gute Idee, ihm zu sagen, dass sie in anderen Umständen ist.«
»Und was macht einem Mann wie Euch schon eine Lüge mehr aus, was?«
Ein jähes Angstgefühl regte sich in Stellans Magen. Dieses Treffen hier im Thronsaal, Mathus kalte, einsilbige Antworten ... »Ist etwas nicht in Ordnung, Mat?«
»Ihr werdet mich mit Euer Majestät anreden.«
»Gezeiten, ich hoffe, Ihr macht Scherze«, erwiderte Stellan stirnrunzelnd.
»Ihr haltet es für einen Scherz, dass ich erwarte, mit dem Respekt behandelt zu werden, der einem König gebührt?«
»In Anbetracht dessen, wie oft ich Euch schon aus der Patsche geholfen habe, Euer Majestät, halte ich es für eine Beleidigung.«
»Oh, und was Beleidigungen angeht, seid Ihr empfindlich, was?«
»So, wie es aussieht, empfindlicher als Ihr. Was ist hier los, Mathu?«
Einen Augenblick lang schien der junge König sich zu entspannen, und auf dem Thron saß der alte Mathu, den Stellan so gut kannte, und nicht der eisige Monarch, der ihn eben begrüßt hatte. Aber lange hielt es nicht an. Der König runzelte die Stirn und fixierte einen Punkt irgendwo über Stellans Kopf, um ihm nicht in die Augen sehen zu müssen. »Es wurden ... Anschuldigungen gegen Euch erhoben.«
»Was für Anschuldigungen?«
»Die will ich lieber nicht wiederholen.«
»Wenn Ihr vorhabt, mich deshalb wie einen Aussätzigen zu behandeln, wäre es mir lieber, Ihr sagt mir, worum es eigentlich geht.«
Mathu rutschte unbehaglich auf seinem vergoldeten Thronsessel herum. »Es wurde behauptet ... dass Ihr ... Euch mit Männern getroffen habt.«
»Ich verstehe.« Stellan zwang sich, ruhig zu bleiben, aber nun hatte ihn eine würgende Angst gepackt, die Knie drohten ihm nachzugeben. »Und das wollt Ihr nun unter Eurer Herrschaft als Straftatbestand einführen, Euer Majestät? Andere Leute zu treffen?«
»Tut nicht so begriffsstutzig, Stellan. Ihr wisst genau, wovon ich rede.«
»Ehrlich gesagt, nein.«
Mathu schluckte schwer und setzte sich etwas aufrechter hin, bevor er weitersprach. »Ihr seid beschuldigt, homosexuell zu sein.«
Obwohl sein Herz raste und ihm die Handflächen feucht wurden, hatte Stellan jahrelange Übung darin, solche Anschuldigungen abzustreiten. Er lachte laut auf. »Gezeiten, und etwas so Lächerliches nehmt Ihr für bare Münze?«
»Normalerweise nicht«, meinte Mathu. »Aber die Quelle, aus der diese Anschuldigungen kommen, ist verlässlich und über jeden Verdacht erhaben.«
»Was für eine Quelle?«, fragte er und zermarterte sich den Kopf, wer es wohl sein konnte, der ihm das antat, oder was derjenige damit zu gewinnen hoffte. War das etwa Reon Debalkors Rache dafür, dass Mathu aus Venetia fortgelaufen und nach Lebec gekommen war? Die Quittung dafür, dass er unbeabsichtigt Reons Heiratspläne für seine Tochter mit Mathu durchkreuzt hatte? Oder war es etwas anderes? Wollte sich hier jemand
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