Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 3 - Der Palast der verlorenen Traeume
Boots. »Dann kannst du dich ausruhen.« Das war das Äußerste an Mitgefühl für Boots’ Qualen, das die Hebamme bisher von sich gegeben hatte.
Elyssa beugte sich vor, um sich die beiden Jungen genauer anzusehen. »Sind das nicht prächtige Kerlchen?«
»Ja, Herrin.«
»Möchtest du, dass ich ihre Namen für euch aussuche?«
Als hätte ich eine Wahl … »Es wäre mir eine unaussprechliche Ehre, Herrin.«
Elyssa dachte einen Augenblick nach, dann lächelte sie. »Ich werde sie nach ihrer Geburt nennen«, sagte sie, streckte die Hand aus und berührte seinen Erstgeborenen an der Stirn. »Du sollst Martyrium heißen.« Zum zweiten Welpen sagte sie: »Dein Name soll Elend sein.« Und dann, an das winzige Geschöpf gerichtet, das sie in ihren Armen hielt, fügte sie hinzu: »Und du, mein Süßes, bist unsere kleine Misere.«
Warlock war fassungslos. Auf dem Strohsack hinter Elyssa heulte Boots wild auf. Warlock vermutete, dass ihr gequälter Schrei den grausamen Namen galt, die die Unsterbliche ihren Kindern verpasst hatte, und nicht dem Ausstoß der Nachgeburt, der kurz darauf erfolgte. Sobald die Plazenta auf dem Bett landete, stürzte sich Boots auf die blutige Masse und schlang sie herunter, denn ihr Körper gierte nach den Nährstoffen, die darin enthalten waren.
»Gefallen dir ihre Namen, Tabitha Belle?«
Warlocks sah Boots an, ihr Gesicht blutig und wild, und flehte stumm: Sag ja. Denn die Namen, die Elyssa ihren Welpen angetan hatte, waren nichts im Vergleich zu dem Schicksal, das ihnen allen t drohte, wenn die Unsterbliche jemals merkte, dass sie Arks waren.
Boots zögerte. Die Urinstinkte ihrer caniden Vorfahren hatten momentan klar die Oberhand. Warlock hielt den Atem an.
»Ich atme nur, um Euch zu dienen, Mylady«, knurrte Boots nach einer langen, angespannten Pause.
Und dann fiel sie wieder über die Reste der Nachgeburt her und fraß sie mit solcher Wildheit auf, dass Warlock wusste: In diesem Augenblick wünschte sich Boots nur, die blutige Masse wäre keine Plazenta, sondern die unsterbliche Jungfrau persönlich.
13
»Es ist heiß hier.«
Azquil wandte sich von der Betrachtung der grün überwucherten Wasserstraße ab, die sie langsam hinabschipperten, und sah Tiji an. Er lächelte sie auf diese komische Art an, die ihr unbehaglich war, weil sie sich dabei fühlte, als sei sie neben ihm das einzige Geschöpf auf Amyrantha. »Ich weiß. Ist es nicht herrlich?«
»In Torlenien war es auch heiß. Da schienst du nicht halb so scharf auf die Hitze zu sein.«
»In Torlenien ist die Hitze trocken. Unsere Art bevorzugt Feuchtigkeit.«
Unsere Art. Diese Wendung war für Tiji immer noch neu. Sie hatte sich nicht daran gewöhnen können in den Wochen, seit sie sie gefunden hatten. Inzwischen hatten sie den Ozean Docilae überquert und sie hier an die Nordwestküste von Senestra gebracht – zur letzten Enklave ihrer Art.
»Du siehst schon wieder so nachdenklich aus.«
Tiji zuckte die Achseln und spürte, wie ein Farbschauer über ihre Haut flimmerte. Sie war nicht daran gewöhnt, von Leuten umgeben zu sein, die ihren Gesichtsausdruck oder ihre Körpersprache lesen konnten. Nicht mal Declan hatte sie so gut gekannt. An Declan zu denken bedeutete an Arkady zu denken – ein Gedanke, dem unweigerlich heftige Schuldgefühle folgten.
Sie hatte Declan im Stich gelassen. Sie hatte versagt, als es darum ging, Arkady zu helfen. Sie hatte es ja nicht mal geschafft, eine Botschaft an ihn abzusetzen, um ihn wissen zu lassen, dass Cayal glaubte, er habe einen Weg gefunden zu sterben.
Dafür war sie auf ihre Art gestoßen – etwas, das sie in ihrem Leben nicht zu hoffen gewagt hatte.
Wieder fühlte Tiji sich schuldig, schon weil sie sich nicht noch schuldiger fühlte, trotz ihrer gescheiterten Hilfe für Arkady und der ausgebliebenen Meldung über den unsterblichen Prinzen an Declan. Sie wandte sich um und betrachtete den grünen Tunnel aus Blattwerk, durch den sie glitten. Lautlos schnitt der scharf geschwungene Kiel durch das brackige Wasser. Die drei Amphibien-Crasii, die ihr Boot zogen, schwammen geschickt und sicher auf der Route, die sie offensichtlich gut kannten. Tiji bewunderte ihre Orientierung. Sie war sich ganz sicher: Auf sich gestellt würde sie in diesen Sümpfen binnen Kurzem hoffnungslos verloren gehen.
»Ich musste nur gerade an ein paar Leute denken.« »Noch mehr menschliche Freunde?« »So in der Art.«
Er schüttelte voller Erstaunen den Kopf. »Ich habe noch nie einen
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