Falsch gespielt: Kriminalroman (German Edition)
Abmachung?«
»Jens hat …«
»Pah«, unterbrach ihn Sandén, »ich dachte nur, dass du vielleicht ein bisschen Stimulanz brauchst. Ich glaube, ich werde dich jetzt allein lassen, Gäddan, wo du Gesellschaft bekommen hast. Ich habe im Augenblick auch ein bisschen an der Heimatfront zu tun. Ist das okay?«
»Absolut. Und – danke nochmal für alles.«
»Keine Ursache. Werd schnell wieder gesund. Du wirst gebraucht.«
Hamad hörte gespannt zu, als Gerdin ihm die Ereignisse des Tages schilderte. Sie ließ die exakte Ursache der Blutung aus – nicht, weil sie die Konsequenzen fürchtete, sondern weil sie ihn nicht in Verlegenheit bringen wollte. Es war eine höchst persönliche Angelegenheit, und Hamad war noch grün hinter den Ohren – zwar ein äußerst angenehmer und begabter Kollege, aber doch viel zu unreif und mit zu vielen Vorurteilen ihr gegenüber, als dass sie so etwas mit ihm teilen wollte. Mit Sandén war es anders, er war ein erwachsener Mann, der trotz seiner Ungeschliffenheit und seines nicht allzu geschliffenen Intellekts das Herz an der rechten Stelle hatte. Und vor allen Dingen war er – ganz im Gegenteil zu dem, was alle glaubten – vollkommen vorurteilsfrei. Denn was waren Vorurteile schon? Ging es dabei nicht um Urteile? Sandén verallgemeinerte Eindrücke, schneller und offener als das politisch korrekte Etablissement, aber mit Urteilen hielt er sich zurück. Und Verallgemeinerung war die Basis jeder Art von Philosophie, die einzige Möglichkeit, das Dasein in Form von Thesen zu strukturieren. Sandéns Thesen waren häufig einfach, aber gut begründet. Und er ließ sich gerne widerlegen.
Er scheute im Gegensatz zu den meisten anderen Männern auch nicht vor den weniger angenehmen Aspekten des Frauenkörpers zurück. Er ekelte sich nicht, hielt sich nicht Augen und Ohren zu. Und es war etwas sehr Schönes, dass es Männer gab, die Frauen respektierten. Wirklich respektierten. Hamad hatte in dieser Beziehung noch ein Stück zu gehen, davon war sie ziemlich überzeugt. Deshalb sprach sie nur in schwammigen Wendungen über die Blutung in der Bauchhöhle, einem allseits bekannten und daher nicht allzu angsteinflößendem Körperteil.
Als das Thema erschöpft war, fiel Gerdin ein, dass dies eigentlich die optimale Gelegenheit war, Hamad zum Thema Sven-Gunnar Erlandsson auf den Zahn zu fühlen. Bei der Lagebesprechung am Montagmorgen hatte er gewisse Signale gegeben, dass er einen ihrer Standpunkte möglicherweise teilen würde. Dabei ging es zwar um das Kartenspielen, aber er hatte einem gewissen Zweifel Ausdruck verliehen, was die Einschätzung von Erlandssons Charakter betraf, den außer ihr vorher niemand im Laufe dieser Ermittlungen in Frage gestellt hatte. Und jetzt lag Gerdin hier, frisch operiert und in miserablem Zustand, und es gab niemanden sonst in diesem Raum, der Hamad beeinflussen oder bei dem er sich einstellen konnte. Man musste die Gelegenheiten nutzen, die einem gegeben wurden.
»Du hast neulich gesagt, dass Erlandsson der Herr im Ring sein wollte«, tastete sie sich heran. »Was hast du damit gemeint?«
»Wir wollen doch nicht über die Arbeit sprechen«, antwortete Hamad. »Vergiss das jetzt mal für eine Weile und erhol dich stattdessen.«
»Ich will aber über die Arbeit sprechen«, antwortete sie. »Das ist besser als hier herumzuliegen und nur darüber nachzugrübeln.«
Hamad zögerte ein paar Sekunden. Zog anscheinend die Schlussfolgerung, dass sie ohnehin nichts außer Arbeit im Kopf hatte. Wozu sie ihn eingeladen hatte.
»Ich habe eigentlich nur gesagt, dass Schummelei nicht unbedingt etwas mit Gier zu tun haben muss«, antwortete er. »Dass es eher um … das Gefühl von Macht geht. Aber ich glaube nicht, dass dieser Fall mit dem Pokerspiel zu tun hat. Obwohl wir die Karten in der Tasche gefunden haben.«
»Worum geht es denn dann, was glaubst du?«
»Ich glaube, es geht um eine Vergewaltigung.«
Eine seltsame Art, es zu sagen, dachte Gerdin. Eine seltsame Wortwahl. Sie verstand zwar, was er meinte; es war ganz offensichtlich, dass Hamad und Westman vollkommen überzeugt davon waren, dass das russische Mädchen entführt und ermordet worden war. Und dass es fast ein Automatismus war, dass ein elfjähriges Mädchen vergewaltigt wurde, bevor man es umbrachte. Aber dennoch – warum nannte er das Verbrechen Vergewaltigung und nicht Mord?
»Und bei Vergewaltigung geht es offensichtlich zuerst um Macht und nichts anderes«, sagte sie. »Was glaubst du, wer
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