Falsch gespielt: Kriminalroman (German Edition)
Mailadresse, und sie hatte niemals etwas kommentiert, das Adrianti ihr geschrieben hatte. Deshalb glaubte sie, dass ihre Nachrichten nicht ankamen. Im Laufe der vier Jahre, die Dewi jetzt weg war, hatte Adrianti acht Mails bekommen. Zwei pro Jahr. Kurz gefasste Mitteilungen darüber, wo in der Welt sie sich befand, dass es ihr gut ging und dass sie hoffte, dass es ihnen ebenso gut ging. Sonst nichts. Keine starken Gefühle, kein Wunsch, nach Hause zurückzukehren und sie zu treffen. Jetzt waren drei Monate seit dem letzten Mal vergangen. »Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, ich bin in Bolivien.«
Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Erst jetzt ging Adrianti auf, dass ihr einziger fester Punkt im Dasein, das einzige Band zu ihrer eigenen Geschichte, zu ihrem Blut, tatsächlich Dewi war. Geliebtes Mädchen. Wie hatte sie sie einfach so weggehen lassen können? Wie hatte sie sich überzeugen lassen können, dass es normal war, wenn Jugendliche auf Reisen gingen, Abenteuer erleben wollten? Zu Anfang war es das vielleicht auch gewesen, aber vier Jahre lang? Und ohne ein Wort des Abschieds?
Damals hatte sie Trost bei Staffan gesucht. Nachdem Dewi verschwunden und ihr selbst klar geworden war, dass sie für lange Zeit nicht wiederkommen würde. Svempa war auf diesem Ohr taub gewesen, er war niemand, der sich unnötig Gedanken machte. Wer sich vorher schon Sorgen macht, muss oft zwei Mal trauern, pflegte er zu sagen, und machte sich stattdessen gar keine Sorgen. Aber Staffan war ein guter Zuhörer. Er hatte sie ernst genommen, hatte sie mit ganz anderen Augen betrachtet als Svempa. Und so kam es, wie es kommen musste. Sie war schwach geworden. Hatte alles, was sie in Schweden aufgebaut hatte, für einen Augenblick der Wonne riskiert. Um sich nur für ein paar Stunden geliebt zu fühlen.
Sie rieb sich die Nase. Es half nicht. Es kamen noch mehr Tränen, noch mehr Rotz. Die Welt brach um sie herum zusammen. Alle, die ihr etwas bedeuteten, verschwanden. Plötzlich fühlte sie sich wie der einsamste Mensch auf Erden. Dewi, dachte sie. Ich will, dass du nach Hause kommst. Du wunderbarer, geliebter kleiner Mensch. Ich vermisse dein Lachen. Deine Wärme. Deine funkelnden, intelligenten Augen. Ich will dich zurückhaben. Wie du warst. Wir werden zusammenhalten. Wie wir es immer getan haben. Ich kann nicht mehr ohne dich leben. Wo bist du?
Wo war sie eigentlich? Adrianti versuchte sich zusammenzureißen. Stand auf und ging in die Küche, um sich die Nase zu putzen. Blieb mit dem feuchten Papier in der Hand vor der Spüle stehen. War es wirklich ihre aufmerksame, liebevolle kleine Dewi gewesen, die sie so mir nichts, dir nichts verlassen hatte? Die nur einen sporadischen Kontakt aufrechterhielt und kein Wort darüber verlor, was sie gerade machte, was in ihrem Kopf vorging? Nein, man konnte es kaum glauben, dass sie selbst diese inhaltsleeren, im Grunde sinnlosen Mitteilungen geschrieben hatte. Dewi war poetisch veranlagt, sie liebte es zu erzählen. Und warum wechselte sie ständig die E-Mail-Adresse, sodass sie in keinen Dialog treten konnten? Angenommen …
Angenommen, dass es gar nicht Dewi war, die diese Mitteilungen schickte? Angenommen, dass sie gar nicht in der Welt herumreiste? Angenommen, jemand hatte Adrianti hinters Licht geführt?
Angenommen, dass etwas ganz Schreckliches passiert war?
Sie musste mit jemandem sprechen. Mit jemandem, der sie ernst nahm. Trotz der Abmachung, die sie mit sich selbst getroffen hatte, und obwohl es unpassend war und er bestimmt dasselbe dachte: Sie musste mit Staffan sprechen.
*
Sandén hatte eine Familie in Auflösung erwartet, als er nach Hause kam. Ganz so schlimm war es zwar nicht, aber die Stimmung war, gelinde gesagt, gedämpft. Jenny schien von der neuen Situation noch am wenigsten mitgenommen. Sie verstand den Ernst der Lage nicht, freute sich auf die Veränderung in ihrem Leben, war im Augenblick aber ein bisschen traurig, weil ihre Mutter es auch war. Sonja riss sich zusammen und kümmerte sich um die Zubereitung des Abendessens, aber sowohl ihre Körpersprache als auch ihre Stimmlage verrieten, wie sie sich eigentlich fühlte. Zum Glück war Jessica da, die große und starke Schwester. Sie half ihrer Mutter, sobald sie eine Gelegenheit dazu sah, und plapperte über alle möglichen wichtigen und unwichtigen Dinge. Größtenteils vor tauben Ohren. Und so sah auch sie erleichtert aus, als Verstärkung in der Küchentür auftauchte – obwohl diese sich rein äußerlich
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