Falsch
größter Flughafen im Nordwesten der Hauptstadt konzentrierte zwei Drittel des Flugaufkommens des Landes auf sich. Fast alle Waren und die meisten Passagiere mit der Destination Nordamerika, Europa oder Asien verließen oder erreichten Kolumbien über »El Dorado«.
Die IFAG , die International Freight Agency Gruber, lag im obersten Stockwerk des Blocks B der Frachtgebäude, drei kleine Räume unter dem Flachdach, was angesichts des Klimas in der 2640 Meter hoch gelegenen Stadt geradezu ideal war. Doch in dem langgestreckten, neugebauten Gebäude hatte der Architekt eine überdimensionierte Heizung eingeplant, die nun täglich auf niedrigster Stufe lief und trotzdem alle Räume hoffnungslos überheizte. So war es nur durch die ständig offenen Fenster möglich, ein halbwegs erträgliches Raumklima zu schaffen. Es war also kein Wunder, dass Gruber aus allen Poren schwitzte, nachdem er die vier Stockwerke zu Fuß hinaufgelaufen war. In allen Etagen hing am Lift das altbekannte Schild »Out of Order«.
» Buenos días! «, schnaufte er, als er schwungvoll die Tür zur Agency öffnete.
»Sie sind spät dran«, gab Margherita, die ältere der beiden Frauen, missbilligend zurück. Sie blickte nicht einmal von ihrer Arbeit auf.
»Viel zu spät, wieder einmal …«, kam ihr Rosina zu Hilfe, die demonstrativ auf die Uhr schaute. »Die ersten Sendungen sind raus, und wir haben jede Menge neue Anfragen reinbekommen. Die stapeln sich auf Ihrem Schreibtisch. Wenn Ihr Vater noch …«, setzte sie an, aber Georg unterbrach sie.
»… leben würde, hätte er Sie beide bereits längst in den Ruhestand entlassen und langbeinige, gutaussehende chicas mit hervorstechenden Merkmalen eingestellt.« Gruber senior war ein stadtbekannter Frauenheld Bogotás gewesen und an einem Herzschlag im berühmtesten Bordell der Stadt gestorben. Seinem Sarg war ein überdurchschnittlich hoher Anteil an jungen weiblichen Wesen gefolgt, ihre rotgeweinten Augen hinter großen Taschentüchern versteckend und dabei lautstark schluchzend.
Der giftige Blick, der aus Rosinas Richtung kam, hätte jede Klapperschlange eines Schlangenbeschwörers auf der Stelle in ihren Korb zurückgetrieben. »Was würde er bloß ohne uns machen?«, fragte sie dann kopfschüttelnd ihre Schwester.
»War das jetzt eine rein rhetorische Frage, oder wollen Sie das tatsächlich wissen?«, erkundigte sich Georg wie beiläufig und schnüffelte an einer Kanne mit einer undefinierbaren Flüssigkeit. »War das Kaffee?«
»Ja, drei Tage alt und in dieser Hitze reduziert auf ein Extrakt«, murmelte Margherita ungerührt. »Kaufen Sie endlich ein Kilo Kaffeebohnen, und ich brühe frischen.«
»Die Firma muss sparen, die Zeiten sind schlecht, die Heizkosten hoch, und Sie beide verdienen zu viel. Da bleibt nichts mehr für Vergnügungen übrig.« Georg Gruber stellte die Kanne entschieden nieder und verschwand rasch in seinem Büro, verfolgt von den strafenden Blicken der beiden Schwestern.
Der kleine Raum, sparsam eingerichtet mit einem antiken, mächtigen Safe, einem überladenen Schreibtisch und dem dazugehörenden plastiküberzogenen Chefsessel, war auf Backofentemperatur aufgeheizt. Georg wischte mit einer Armbewegung den Stapel an Anfragen zur Seite, stellte sein Laptop auf die Tischplatte und riss die Fenster auf. Die Luft, die hereinströmte, roch nach Kerosin. Auf der Landebahn von »El Dorado« startete gerade mit donnernden Triebwerken ein Jumbo der Lufthansa nach Frankfurt/Main und ließ die Scheiben zittern. Das große, gerahmte Schwarzweißfoto seines Vaters an der Wand über dem Safe, auf dem er wie ein General der Südstaaten-Armee auf Heimaturlaub aussah, vibrierte leise klirrend. Der Rahmen ist auch nicht mehr der jüngste, dachte Georg.
Du wirst bald fallen, Vater.
Er nickte Gruber senior zu und klappte seufzend seinen Laptop auf, um das Betriebssystem zu starten. Während er wartete, zog er den Stapel mit den Anfragen näher zu sich und begann ihn, entgegen seiner ganz persönlichen »Chaos-Theorie«, systematisch von oben abzutragen. Der Lärm der Turbinen verlor sich in der Ferne, und Georg stellte fest, dass er Heimweh hatte nach dem Kontinent, von dem ihm sein Vater immer so viel erzählt hatte. Er lehnte sich aus dem Fenster und blickte gedankenverloren der immer kleiner werdenden Boeing nach, die in einer langgezogenen Kurve aus langsam verklingenden Schallwellen lag.
Das Telefon holte ihn zurück in die Wirklichkeit. Etwas gedankenverloren drückte Georg
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