Falsch
auf den Lautsprecherknopf und nahm das Gespräch an. Die Stimme seiner Frau füllte das kleine Büro. Er hörte bereits an den ersten Worten, dass sie verwirrt war, was äußerst selten vorkam.
»Entschuldige die Störung, aber hier ist etwas Seltsames passiert …«, meinte sie zögernd.
»Wo ist etwas Seltsames passiert?«, fragte er nach und runzelte die Stirn. »Bist du noch zu Hause?«
Die Grubers wohnten in einem alten weißen Haus im Kolonialstil am Fuße des Montserrat, des berühmten Ausflugsberges der Acht-Millionen-Stadt Bogotá. Sein Vater hatte es nach seiner Ankunft in Kolumbien gekauft, renoviert und die riesige Dachwohnung mit dem atemberaubenden Mahagoni-Sternparkett als Familiendomizil behalten. Alle anderen Wohnungen waren nach und nach verkauft worden, an Ärzte und Rechtsanwälte, Mitglieder der deutschen Kolonie in Bogotá. Mit dem Geld hatte sein Vater schließlich die Agentur gegründet und eine Smaragdmine gekauft, die kurz danach durch einen Wassereinbruch überflutet wurde. Die Stollen stürzten ein, und Gruber senior schrieb das Geld für immer ab. Aber es hatte ihm nie wirklich viel bedeutet. Solange er genug zum Leben hatte, war er zufrieden.
Im Gegensatz zu der Mine gab es die Fracht-Agentur noch immer. Georg fragte sich manchmal, ob er es nicht lieber andersherum gehabt hätte – die Agentur wäre abgesoffen, und die Smaragdmine hätte sich als ergiebig herausgestellt …
Die Stimme seiner Frau riss ihn aus seinen Gedanken. »Ja, ich bin noch zu Hause und habe seit rund zehn Minuten Besuch. Auf dem Schrank im Salon sitzt eine graue Taube und lässt sich nicht verscheuchen.«
Georg hörte im Hintergrund seine beiden Töchter rufen, die heute schulfrei hatten und eigentlich mit ihrer Mutter einkaufen gehen wollten. Er runzelte die Stirn. »Wie ist sie dahin gekommen? Tauben fliegen nicht so mir nichts, dir nichts in eine Wohnung und richten sich da häuslich ein.«
»Die Fenster der Veranda standen offen, und ich vermute, dass sie so in unsere Wohnung gelangt ist. Als ich in den Salon kam, um meine Tasche zu holen, saß sie bereits da, gurrte und schaute mich an.«
»Dann nimm einen Besen, und nichts wie raus mit ihr«, murmelte er und griff nach der nächsten Anfrage auf dem Stapel. Gefahrgut nach Chile. Auch das noch! »Was ist daran so schwierig? Mach alle Fenster auf, und husch, husch – ab ins Grüne mit ihr. Wenn sie Glück hat, erreicht sie die nächste Gondel«, scherzte er. Direkt neben dem Garten der Grubers schwebte die Seilbahn vorbei, deren rote Gondeln unermüdlich Besucher auf den Montserrat brachten.
»Da ist noch etwas …« Ihre Stimme brach ab und Georg horchte auf. »Sie hat einen Gegenstand an ihrem Fuß befestigt …«
»Also eine Brieftaube«, unterbrach sie Georg, »die sich verflogen hat. Kommt selten vor, aber es passiert. Vielleicht ist sie wertvoll. Pass also besser auf, wenn du sie hinausscheuchst.«
Seine Frau schwieg, und Georg fühlte, dass etwas ganz und gar nicht in Ordnung war mit der Taube in seinem Wohnzimmer.
»Sie hat keine zusammengerollte Nachricht an ihrem Fuß …« Seine Frau stockte. »Ich bin auf einen Sessel gestiegen, um näher an sie ranzukommen, und da hab ich es gesehen.«
»Was gesehen?«, warf er ein und unterbrach das Tippen des Angebots.
»Den Ring.«
»Das ist eine Brieftaube, also ist es normal, dass sie einen Ring trägt.« Georg seufzte. »Wirf sie endlich raus, ich muss noch mindestens fünfzig Angebote ausarbeiten, und die Sekretariatsguerilla da draußen zählt die Minuten, bis ich damit fertig bin.«
»Es ist ein Totenkopfring mit gekreuzten Knochen«, flüsterte seine Frau kaum hörbar.
Georg wurde mit einem Mal kalt. Er ließ das Blatt mit der Anfrage sinken und schaute ins Leere, seine Gedanken rasten. Mit fahrigen Bewegungen begann er, Papiere auf dem Schreibtisch hin und her zu schieben.
»Lass die Taube, wo sie ist«, murmelte er, »rühr sie nicht an. Ich kümmere mich darum, wenn ich nach Hause komme. Ich muss vorher nur noch etwas erledigen. Dann mach ich mich auf den Weg.«
»Was ist mit diesem Ring, Georg? Was bedeutet das? Er sieht so … so bedrohlich aus, so echt. Ich habe Angst«, meinte seine Frau leise und schluckte.
Georg war versucht zu sagen: »Ich noch viel mehr«, aber er schwieg. Vier Militärjets flogen in Formation ganz tief über den Flughafen, bevor sie die Nachbrenner zündeten und fast senkrecht im tiefblauen Himmel über Bogotá verschwanden.
»Ich bin in spätestens einer
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