Falsch
Moment, in dem in der Ferne die ersten Blaulichter der Polizeiwagen aufleuchteten. Llewellyn riss das Steuer nach rechts und beschleunigte die schwere Limousine in die entgegengesetzte Richtung. Nach einer Kurve wendete er und wartete.
»Lassen wir die Kavallerie vorbeiziehen«, meinte er zu Zwingli, der mürrisch auf dem Beifahrersitz kauerte. »Und machen Sie nicht so ein Gesicht, sonst überlege ich es mir noch einmal und vergesse Sie auf einer lokalen Polizeistation.«
»Fahren Sie doch zur Hölle«, giftete Zwingli.
»Nur mit Ihnen«, gab der Major zurück. »Wir werden ab sofort unzertrennlich sein, Sie und ich, wie Pat und Patachon oder Laurel und Hardy. Vor allem werden Sie mir eine spannende Geschichte erzählen – die Geschichte von der Angst der Schweizer vor vier alten Männern. Und lassen Sie kein Detail aus.«
Doch Zwingli dachte nicht daran. Er stieß plötzlich die Beifahrertür auf, sprang auf die Straße und war mit wenigen Schritten im dichten Dschungel verschwunden, bevor Llewellyn reagieren konnte.
Der Major wollte aufspringen, Zwingli verfolgen, doch dann überlegte er es sich. Es gab Wichtigeres. Also startete er den schwarzen Mercedes und rollte in Richtung Tor.
Sein Seesack lag noch genau da, wo er ihn versteckt hatte. Er entlud das Sturmgewehr, warf es mit großen Schwung in den Wald und stopfte die MP 5 zwischen seine Hemden. Bei dem Interview, das er noch plante, könnte eine zusätzliche Überzeugungshilfe willkommen sein.
Als Llewellyn wieder in den S 600 stieg und in Richtung São Gabriel beschleunigte, wurde der Regen schwächer und hörte schließlich ganz auf. Am Tor hatten zwei Polizisten im Wächterhäuschen Schutz gesucht. Bevor sie auf die Straße springen und Llewellyn befragen konnten, war die schwarze Limousine bereits in einem dicken Sprühnebel aus Wassertropfen verschwunden.
Jetzt gilt es nur noch, die richtigen Informationen einzuholen, dachte der Major, während er vergeblich versuchte, in seinen Taschen eine trockene Zigarette zu finden. Er zweifelte keine Sekunde daran, dass John Finch und Fiona Klausner mit den Hinweisen in dem mattschwarzen Helikopter entkommen waren.
Das Flugziel des Hubschraubers herauszufinden, das erachtete Llewellyn nicht als Schwierigkeit. Es kam nur auf den Nachdruck an, mit dem man die Fragen stellte …
Sosnovaya Alleya 5,
Pokrovskoje Streschnevo, Moskau/Russland
Das Penthouse im obersten Stock des neu erbauten Wolkenkratzers, einer Komposition aus Stahl, Glas und Beton, bot neben 280 Quadratmetern Luxus auch einen atemberaubenden Blick auf das nächtliche Moskau. Das Domizil in Pokrovskoje Streschnevo, einem der besten Bezirke der russischen Hauptstadt, hatte ein Vermögen gekostet und die Ausstattung durch einen französischen Innenarchitekten ein weiteres.
Doch das kümmerte Georgi Atanasiew nicht. Geld kam mit den Geschäften, und Geschäfte gab es genug.
Das heiße Wasser aus dem vergoldeten Duschkopf prasselte im Massage-Rhythmus auf seine Schultern. Atanasiew sah aus wie ein alternder Boxer, der die letzten Kämpfe verloren hatte. Doch der Eindruck täuschte. Zwar stand seine Nase schief, und zahllose Narben an Schläfen, unter den Augen und am Rücken zeugten von einer bewegten Vergangenheit. Aber das war lange her. Der in der Hafenstadt Archangelsk geborene Atanasiew hatte seine Heimatstadt mit sechzehn verlassen, um sein Glück in Moskau zu versuchen. Die »Stadt der Erzengel« am Weißen Meer war ihm zu klein geworden, nicht zuletzt wegen seines langen Vorstrafenregisters. Wenn ihn nicht die Polizei in die Finger bekommen hätte, dann hätten sich seine zahllosen Feinde wie Bluthunde an seine Fersen gehängt.
Und ihn erwischt.
So aber war er bei Nacht und Nebel nach Moskau aufgebrochen und spurlos untergetaucht.
Der Zeitpunkt war gut gewählt. Mitte der achtziger Jahre flutete eine Aufbruchsstimmung durch Moskau, brandete bis an die Kremlmauern. Ihr Sog wirbelte die etablierten Klassen durcheinander, brach verkrustete Strukturen auf und spülte Talente aus ganz Russland in die Hauptstadt.
Talente verschiedenster Berufsgattungen.
Atanasiew hatte keine Skrupel, keine Familie, keine Verpflichtungen, wenig Hemmungen und nichts zu verlieren. Ideale Voraussetzungen für eine Blitzkarriere im einschlägigen Moskauer Milieu, in dem alle nach oben wollten und niemand zurückblickte.
Georgi trat aus der Dusche, nahm ein riesiges Badetuch und trocknete sich ab. Für einen Moment überlegte er, für einen Aufguss in die
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