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Falsch

Falsch

Titel: Falsch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Schilddorfer
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private Sauna zu gehen, aber dann verwarf er den Gedanken wieder. So viel Zeit blieb nicht.
    Er schlüpfte in einen Bademantel und wählte eine Davidoff aus dem Humidor. Während er die Zigarre anzündete, trat er auf die Terrasse hinaus, lehnte sich an die Brüstung und genoss den Blick über den Lesopark auf das Stadtzentrum.
    Als der Zusammenbruch der Sowjetunion eine Ära beendete und ein neues Zeitalter einläutete, hatte »der Erzengel«, wie der Spitzname Atanasiews lautete, bereits die erste Dollar-Million auf seinem Konto und blickte zuversichtlich in die Zukunft. Er war in der Zwischenzeit als Geschäftsmann bekannt und akzeptiert. Ob Computerteile aus Taiwan oder Wodka aus der Ukraine, Uhren aus der Schweiz oder Waffen aus Österreich, Atanasiew hatte die richtigen Verbindungen aufzuweisen, genügend Mittel, um sie zu pflegen, und eine harte Hand, um sie bei der Stange zu halten.
    So verwunderte es niemanden, dass er von Anfang an dabei war, als in den frühen neunziger Jahren die ersten Kartelle der russischen Mafia gegründet wurden. Der wirtschaftliche Niedergang und die sich bietenden Möglichkeiten der Privatisierung von Kollektiveigentum aus staatlichem oder Volksvermögen stellten eine Einladung an die organisierte Kriminalität dar, die auch Atanasiew nicht ausschlagen konnte.
    Bald teilten sich zwei kriminelle Kartelle die Tätigkeiten in Moskau mehr oder weniger reibungslos auf. Viele Paten und führende Mitglieder wurden aus dem Offizierskorps der Roten Armee und des KGB rekrutiert. Sie hatten mit der Reduzierung der Streitkräfte nach dem Ende des Kalten Krieges ihre Posten verloren und griffen nach jedem Strohhalm.
    Drogen, Waffen, Menschen, Schutzgelder, Erdöl, Gas und Rohstoffe – nach den wilden »Gründerjahren« begannen viele Paten und Oligarchen in den wachsenden Konsum ihrer Landsleute zu investieren. Immobilien hieß das Zauberwort, und Atanasiew sprang rechtzeitig auf den Zug auf. Zur Jahrtausendwende war sein Vermögen auf mehr als 100 Millionen angewachsen, und der Bauboom hatte erst begonnen …
    So stand denn Atanasiew auch auf der Terrasse seines eigenen Hochhauses. In den untersten drei Etagen war der nobelste und eleganteste Wellness-Club Moskaus untergebracht, der ebenfalls ihm gehörte. Das Zehn-Millionen-Projekt stillte die ständig wachsende Nachfrage nach Luxus und den Hunger der Moskauer, in einem schicken Ambiente umhegt zu werden. Deshalb hatte der Bauherr geklotzt: Die Gäste wurden auf knapp 5000 Quadratmetern mit allem nur erdenklichen Komfort verwöhnt. So war es kein Wunder, dass der Club seit dem ersten Tag eine Geldmaschine war. Der jährliche Mitgliedsbeitrag von umgerechnet mehr als 4000 Euro garantierte Exklusivität. Doch damit nicht genug. Die darüberliegenden dreißig Stockwerke mit hochwertig eingerichteten Appartements hatten beim Verkauf weitere 50 Millionen Gewinn auf das Konto des Erzengels gespült.
    »Ich darf Sie daran erinnern, dass in einer halben Stunde die Männer vom Werttransport kommen?« Sein Sekretär Anatolij war wie immer zuverlässig und pünktlich.
    Atanasiew nickte und schnippte das lange Streichholz über die Brüstung. »Ich bin gleich so weit. Bereiten Sie inzwischen alles vor, rufen Sie im Hotel an und erinnern Sie Saul Pleaser an den Termin. Dann geben Sie Mischa Bescheid.«
    Auf dem Weg ins Schlafzimmer schaltete er den Fernseher an und drehte den Ton ab. CNN berichtete über die Wirtschaftskrise in den EU -Staaten, und Atanasiew verzog das Gesicht. Er hatte bereits vor Jahren einen Teil seines Vermögens in Euro angelegt und beobachtete nun mit Sorge die Entwicklung der schwächelnden Währung.
    Der begehbare Kleiderschrank hatte das Ausmaß eines Salons und die Auswahl eines exklusiven Pariser Modegeschäfts. Eine Lektion hatte Atanasiew rasch gelernt: In einer Stadt, die Luxus und Eleganz groß schrieb, musste man sich anpassen, um dazuzugehören. So besaß er mehr Anzüge, als er jemals tragen konnte, und weniger bequeme Schuhe, als er gern gehabt hätte.
    Er wählte sorgfältig seine Kleidung aus – Designerhose, Fred-Perry-T-Shirt und Armani-Sneakers – und zog sich an. Als er sich zufrieden im Spiegel betrachtete, hörte er, wie Anatolij bereits Mischa begrüßte. Der Georgier, einer der neuen Köpfe des Solntsewskaja-Kartells, kulturell interessiert und ein studierter Ökonom, wollte sich den Transport nicht entgehen lassen und hatte dafür sogar auf eine Premiere von Verdis Rigoletto verzichtet. Und das hieß bei

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