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Falsch

Falsch

Titel: Falsch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Schilddorfer
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Kuvert und verschloss es sorgfältig. »Nehmen Sie einen Wagen und fahren Sie sofort nach Verona. Die Strecke dürfte nach letzten Meldungen noch frei sein. In der Via Mussolini gibt es ein kleines Kaffeehaus, das Piccolo Espresso. Geben Sie das Kuvert Antonio, dem Mann mit der weißen Schürze hinter der Theke. Dann kommen Sie auf dem schnellsten Weg wieder zurück. Sollte Ihnen etwas zustoßen, der Brief verlorengehen oder bis heute Mittag nicht in Verona sein, dann können Sie sich gleich selbst erschießen. Wenn Sie’s nicht fertigbringen, dann mache ich das. Sollten Sie glauben, es wäre eine Lösung, den Brief einfach wegzuwerfen und zu verschwinden, dann schwöre ich Ihnen, dass ich Sie finde und den Partisanen ausliefere. Haben wir uns verstanden?«
    »Ja, Obersturmbannführer! Sie können sich auf mich verlassen! Heil Hitler!«
    Ja, auch das, dachte Claessen und stieg die Treppe zu seinem Zimmer hinauf, um zu packen. Aus dem Erdgeschoss erklang eine Melodie aus schrägen Noten:
    »Wenn sich die späten Nebel drehn,
werd’ ich an der Laterne stehn,
wie einst Lilli Marleen,
wie einst Lilli Marleen.«

10. April 1945,
Kommandozentrale Heeresleitung Süd, Palazzo Verità Poeta, Verona/Italien
    General Alfons Reinke schwitzte und fluchte.
    Die Temperaturen waren jetzt, Anfang April, bereits sommerlich, und die dicke Uniform war nicht für die Tropen geschneidert. Da lobte er sich sein heimisches Berlin. Reinke ächzte leidend, wuchtete sein Übergewicht aus dem Sessel hinter dem übervollen Schreibtisch und ging zu dem historischen Safe, der neben dem Fenster in einer Ecke des Büros aufgestellt worden war. Eher ein Symbol italienischer Nonchalance, dachte der General, den knackt bei uns zu Hause in Berlin jedes Kind mit einer Gabel. Aber für die Itaker sollte es reichen …
    Das gelbe Kuvert, das er unter einem Stapel Akten hervorzog, war dünn und unbeschriftet. Verdrossen gab Reinke der Safetür einen Tritt, lockerte die Krawatte und zog seinen Uniformrock aus, Vorschrift hin oder her.
    Er schüttelte einige Blätter mit Aufzeichnungen aus dem Umschlag und reihte sie vor sich auf dem Schreibtisch auf. Durch das Fenster läuteten die Glocken der Kirche Santa Maria Antica vier Uhr. Bald Zeit, von hier zu verschwinden, dachte er, aber die Verhandlungen mit den Amerikanern bereiteten ihm Kopfzerbrechen, und so würde er doch noch ein wenig länger im Büro bleiben.
    Sollte Claessen ruhig denken, er sei ein Fanatiker, der bis zum letzten Blutstropfen kämpfte. Hier ging es ums Überleben nach dem Friedensschluss. Genau dafür hatte er gearbeitet, Informationen gesammelt, die ihm seinen Weg in das Nachkriegsdeutschland ebnen würden. Ein Handel mit den Alliierten … Reinke verzog das Gesicht. Pack! Aber wer urteilt schon über Sieger?
    Als Kaltenbrunner, der Chef des Reichssicherheitshauptamtes, ihn mit der Sicherheit der Operation Claessen auf Schloss Labers betraut hatte, war Reinke rasch klar geworden, dass hier seine Chance lag. Nachdem von Kaltenbrunner keine Details außer der lapidaren »geheime Reichssache« oder »höchste Priorität« zu bekommen waren, hatte er selbst begonnen, Erkundigungen einzuziehen, und sich an Alphonse Darrey, das schwächste Glied in der Kette, herangemacht. Er hatte Darrey im Winter in Verona getroffen, rein zufällig … man hatte gemeinsame Erinnerungen ausgetauscht, von der Westfront, als der Franzose für die Lebensmittelbeschaffung in der Besatzungszone zuständig gewesen war. Dann war man auf ein Glas gegangen oder zwei, hatte sich über alte Zeiten unterhalten – und über die neuen. Alles andere war Routine gewesen. Nach ein paar Flaschen Grauvernatsch hatte der Franzose aus dem Nähkästchen geplaudert, unter dem Siegel der absoluten Verschwiegenheit.
    Es klopfte, und Reinke wurde aus seinen Gedanken gerissen. Die Tür öffnete sich, und ein dunkelhaariger Lockenkopf schob sich herein, mit vollen Backen kauend.
    Reinke hasste seine Sekretärin, eine Freiwillige der italienischen Faschisten, die sich immer wieder erbötig gemacht hatten, den deutschen Kameraden Bürokräfte zur Verfügung zu stellen. Solche Gesten konnte man nur eine Zeitlang zurückweisen, irgendwann erwischte es auch den Härtesten …
    So war Reinke zu Marietta gekommen. Sie aß dauernd, rauchte wie ein Schlot und stank nach Bauernhof. Da kommt sie ja auch her, dachte Reinke verbittert. Wenigstens konnte sie Maschineschreiben und Übersetzen …
    »Bmmsiemnch …?«, ertönte es von der Tür,

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