Falsch
kamen. Wer hätte sich sonst wochenlange Aufenthalte in einem der besten und teuersten Hotels der Welt leisten können? Aristokraten, reiche Kaufleute, Parvenüs, Kriegsgewinnler, Schieber auf höchstem Niveau.«
»Eine faszinierende Mischung«, musste Georg zugeben. »Und in ihrer Mitte ein junger Mann Anfang zwanzig … Wie konnte er das bezahlen? Wohnte er hier? Oder trank er auch nur einen Kaffee, weil er sich nicht mehr leisten konnte? Wenn er etwas verstecken wollte, dann musste es also schnell gehen. Oder er hatte Geld wie Heu …«
»Richtig«, bestätigte Finch, »aber für seine Aktion hatte er zwei Gebäude zur Verfügung. Das, in dem wir uns jetzt befinden, und das Palace gleich nebenan, das 1908 erbaut wurde. Deshalb der Name Beau Rivage Palace.«
»Das heißt aber auch, dass es tatsächlich zwei Hotels mit dem Namen Beau Rivage gab, eines in Genf und eines in Lausanne«, wunderte sich Georg und stieß die Tür zur Terrasse mit ihrem atemberaubenden Blick auf den See und die Berge auf. »Und wir sollten nicht das erstbeste nehmen.«
Finch wählte einen Tisch etwas abseits, wo ein angenehm kühler Wind vom See her wehte. »Dank der österreichischen Kaiserin Sissi und ihrem Schicksal ist das Beau Rivage in Genf sicherlich bekannter als das in Lausanne. Wenn ich mir allerdings diesen Hausprospekt so durchlese, dann haben wir ein paar unerwartete Probleme, die auch Paul Hoffmann nicht vorhersehen konnte. Der gesamte Komplex wurde mit hundertfünfzig Millionen Euro vollständig renoviert. So gut wie kein Stein blieb auf dem anderen. Die Rotunde, die beide Häuser verbindet, steht unter Denkmalschutz und ist heute eines der besten Restaurants der Schweiz. Die sogenannte Grande Salle , ein architektonisches Kunstwerk aus der Belle Époque, wird als Veranstaltungs- und Ballsaal genutzt und heißt nun Salle Sandoz , nach der Stiftung, die Hauptaktionär ist. Es hat sich vieles verändert …«
»Steht da drin etwas über den Keller?«, erkundigte sich Georg neugierig.
»Nur über den Weinkeller mit seinen fünfundsiebzigtausend Flaschen.« Der Pilot legte den Prospekt zur Seite und blickte nachdenklich über den Park mit seinen bunten Blumenrabatten. »Untergrund muss nicht Keller heißen, wenn ich es mir recht überlege. Gibt es vielleicht Verbindungsgänge zwischen den beiden Häusern? Was ist mit der Rose? Sucht die Rose im Untergrund, am Fuße des dritten Pfeilers. Hier wachsen jede Menge Rosen.«
»Heißt das, wir sollen die Rose im Untergrund am Fuß des dritten Pfeilers suchen – oder wir sollen erst die Rose suchen und dann am Fuß des dritten Pfeilers nochmals unser Glück versuchen?«, meinte Georg etwas ratlos. »Der Text lässt beide Auslegungen zu.«
Finch gab der Bedienung ein Zeichen. »Gut beobachtet«, stimmte er zu. Dann bestellte er zwei Cappuccinos. »Wir brauchen mehr Informationen, und wir brauchen sie von einem Insider, sonst sind wir in den beiden monumentalen Häusern noch in vier Wochen unterwegs. Ich habe nicht damit gerechnet, dass dieser Hotelkomplex so groß ist.«
Die Terrasse füllte sich allmählich, was Finch überhaupt nicht behagte. Jede Minute, die sie länger im Café saßen, verkürzte ihren Vorsprung. Wenn auch Takanashi offenbar nach Österreich unterwegs war, so blieben doch der grauhaarige Mann aus Medellín und der ominöse Zwingli, die sich nicht so leicht abschütteln lassen würden.
Und hier saßen sie auf dem Präsentierteller.
Mit einem reizenden Lächeln servierte die Bedienung den Kaffee. Es war ein junges Mädchen, das vorsichtig einen kleinen Teller mit Gebäck und drei verschiedene Zuckersorten neben die Tassen stellte, dann noch zwei Gläser mit Wasser daneben. »Kann ich Ihnen sonst noch etwas bringen?«, erkundigte sie sich freundlich.
»Danke, nein, aber Sie könnten mir vielleicht eine Auskunft geben«, antwortete Finch und suchte nach den richtigen Worten. »Wir suchen jemanden, der unter Umständen bereits sehr lange im Haus arbeitet, der das Hotel in- und auswendig kennt, seine Geschichte und auch die alte Bausubstanz, noch vor der Renovierung. Fällt Ihnen da auf Anhieb ein Name ein?«
»Ich bin leider erst sehr kurz im Beau Rivage, Monsieur, aber wenn Sie möchten, dann kann ich gern einen meiner Kollegen fragen«, bot das Mädchen an. »Lassen Sie sich Ihren Kaffee schmecken, ich bin gleich wieder zurück.«
Das war der Moment, in dem rund fünfzig Kilometer von Lausanne entfernt die Polizei die A1 nach den Aufräumungsarbeiten
Weitere Kostenlose Bücher