Falsch
ich blieb die einzige Tochter, der Ersatz für den Sohn, den sich mein Vater immer so sehr wünschte.«
»Ihre Mutter machte auf mich nicht gerade den Eindruck, als könnte ihr irgendetwas so leicht das Herz brechen«, erwiderte Christopher ironisch. »Sie wirkte eher wie ein General im Morgenmantel knapp vor dem Angriff.«
»Reiner Selbstschutz«, winkte Bernadette ab. »Theaterspielen ist in meiner Familie an der Tagesordnung, seit ich mich erinnern kann.«
»Ich muss mich also in Acht nehmen und nicht alles glauben, was ich sehe?«, hakte Christopher schmunzelnd nach.
»Schauen Sie genau hin und werfen Sie einen Blick hinter die Fassade.« Bernadette gab der Kellnerin ein Zeichen. »Ich wurde in einem sehr konservativen Internat erzogen, in dem man uns beibrachte, dass vornehme Zurückhaltung die oberste Mädchenpflicht sei. Die Erziehung tat das Übrige. Aber die Emanzipation ist im Gange, ich arbeite daran.«
Zwanzig Minuten später waren Christopher und Bernadette neben dem Porsche angekommen, den sie in einer der Nebenstraßen der Leopoldstraße abgestellt hatten.
»Danke für den netten Abend, und ich meine es auch so«, lächelte die junge Frau, während sie die Schlüssel in ihrer Handtasche suchte. »Ist es okay, wenn ich Sie jetzt wieder zum Flughafen bringe?«
Christopher Weber schaute auf die Uhr und nickte. »Ich bin es, der sich bedanken muss. Sie haben mich gefahren, Sie haben gezahlt, wir sind mehr als quitt. Meine Schicht beginnt in genau sechs Stunden, insofern ist es sicher das Beste, wenn ich mich in die Koje lege …«
»Wir könnten uns vielleicht morgen kurz sehen, wenn ich nach Basel fliege. Was halten Sie davon?«
»Kommt darauf an, wann Ihr Flug geht. Ich arbeite bis halb drei.«
»Ich fliege um fünf nach vier, also passt es ausgezeichnet. Für einen schnellen Kaffee am Airport sollte die Zeit reichen.«
Der Porsche erwachte zum Leben, und Chris fragte sich, ob seine Gänsehaut von der Stimme Bernadettes oder vom Sound des Sechszylinders herrührte. So einen würde ich auch gern mal fahren, dachte er sich und beobachtete die junge Fahrerin aus den Augenwinkeln dabei, wie sie sicher und zügig in Richtung Autobahn lenkte.
Aber vorher will ich mein Glück bei der Besitzerin versuchen, lächelte er in sich hinein. Und wenn ich mich dabei bis auf die Knochen blamiere.
Der schwarze Mercedes hielt diesmal einen größeren Abstand als bei der Fahrt in die Stadt. Sein Fahrer kannte ja bereits das Ziel. Mit der freien Hand griff er nach dem Mobiltelefon und rief seinen Auftraggeber an.
3
DER RING
Armenviertel La Cruz,
Medellín/Kolumbien
Vincente hatte schlecht geschlafen. Im Traum war immer wieder ein blutbespritzter Papagei durch sein Zimmer geflattert, hatte »Hängt ihn von der Rah!« gekreischt und sich schließlich auf die Schulter eines Piratenkapitäns gesetzt, dessen Bart in Flammen stand. Dann hatte er dem grimmig dreinschauenden Seeräuber ein Auge ausgehackt und es verspeist.
Es war noch früh am Morgen. Die Dämmerung kroch langsam über die Berge, während sich Vincente unter seiner Decke hin und her drehte und doch keinen Schlaf mehr finden konnte. Schließlich setzte er sich auf und versuchte, die Spinnweben in seinem Kopf zu beseitigen.
Señor Botero hatte gestern noch lange mit ihm zusammengesessen und erzählt. Oft zusammenhangloses Zeug, viele Dinge, die Vincente nicht verstanden hatte, andere, die er sehr wohl begriff. Es ging um eine Schuld, die bereits lange, lange zurück lag. Und um viel Geld. Ein Vermögen, für das es sich zu leben und zu sterben lohnte. Und um ein Geheimnis.
»Dieses Papier«, hatte Botero gesagt und mit dem kleinen Zettel gewinkt, »dieses Papier ist der erste Schritt dahin.« Wohin genau, das hatte er sich nicht entlocken lassen. Jetzt müsse man warten. Als Vincente ihn gefragt hatte, worauf denn nur, hatte der alte Mann lediglich mit den Schultern gezuckt und gemeint, das werde sich in den nächsten Tagen herausstellen.
Vincente stand auf und ging in die Küche, um einen Kaffee aufzusetzen. Die Pistole Alfredos lag noch immer auf dem Wohnzimmertisch. Vincente hatte sie mitgenommen, als er den Sicario beim Arzt in Sicherheit wusste. Während das Wasser heiß wurde, holte der Junge die Schachtel mit den Patronen aus der kleinen Kommode, ließ das Magazin aus dem Griff gleiten und lud nach. Alfredo hatte zwei Patronen verschossen, wahrscheinlich auf seine Angreifer. Vincente hoffte, dass er gut getroffen hatte.
Die Beretta fasste
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