Falsche Brüder
noch verfügen mochten. Ja, man wusste nicht einmal,
wie stark sie waren, keine Sternwarte hatte die Landung der
Schiffe verfolgt. Und wenn es eine getan hätte? Was befand sich
in den Schiffen, wie viele waren es? Man wusste nicht einmal,
wie sie wirklich aussahen. Und nun hatte man einen – und
interessierte sich kaum für ihn…
Aber das täuschte. Am späten Nachmittag traf mit einem
sechssitzigen Flugzeug eine Expertengruppe ein, die aus der
Maschine heraus gleichsam ohne Atempause ins Lager gerannt
kam, um den Außerirdischen zu suchen. Da kaum jemand von
ihm wusste, dauerte es eine Weile, bis sie Hugh und mich
aufgefunden hatten. Als wir sie zu dem Bündel führten, zeigten
nur einige ein wenig Enttäuschung. Hatten sie sich die modernen
Unholde anders vorgestellt, fürchterlicher im Aussehen
vielleicht?
Eine Frau war dabei, eine attraktive Vierzigerin mit grau
meliertem Haar. Sie sagte mit gerunzelter Stirn: „Der?“ Und
sie maß Hugh und mich mit abschätzigen Blicken, als wollte sie
sagen: Vor denen lauft ihr Hünen davon?
Die Sache wurde für die Menschen noch beschämender, als sie
die Hülle aufgebrochen hatten.
Zunächst jedoch begannen sie vor der provisorischen Trage zu
streiten, ob man gleich an Ort und Stelle sezieren oder ob man
das Wesen erst nach Rovaniemi in die Pathologie transportieren
solle. Es sah aus – für mich enttäuschend –, als würden die
siegen, die für den Abtransport stimmten. Sie hatten für sich, dass
jeden Augenblick ein Angriff drohen konnte… Die Argumente
der Frau, die sie Astrid nannten, gaben schließlich den
Ausschlag. Erstens, dozierte sie, könne das Wesen noch leben
und schnelle Hilfe benötigen. Zweitens aber, wenn es tot sei,
wisse man nicht, wie schnell ein Zerfall einsetze. Wer könne
wissen, wie die irdische Atmosphäre auf es wirke. So
argumentierte sie, nachdem sie von Hugh und mir einen
Kurzbericht über das Auffinden des Fremden abgefordert hatte.
Während die anderen, die sich neugierig eingefunden hatten,
von einem Diensthabenden barsch vertrieben wurden,
betrachteten wir – Hugh und ich – es als selbstverständlich, auch
im Weiteren bei den Experten verbleiben zu können. Bereitwillig
schleppten wir das Bündel dann auch in das Sanitätszelt und
betätigten uns im Folgenden nützlich als Handlanger.
Die Experten zauderten nicht.
Selbst der Einwand, es könnten gefährliche
Mikroorganismen… wurde vom beobachtenden Offizier barsch
mit der Bemerkung: „Es ist Krieg!“ abgeschmettert.
Als ein Verschluss der Hülle nicht zu finden war, griffen sie
kurzerhand zu einem Messer, dem das knäulig-faserige Material
jedoch erheblichen Widerstand entgegensetzte.
Eine Art poriger, klebriger, organischer Schaumstoff klaffte
dann auseinander, der Zweifel setzte, ob man es tatsächlich mit
einer Schutzhülle oder bereits mit dem Wesen selbst zu tun hatte.
Die Ungewissheit nahm zu, als der Stoff nach innen dichter
wurde, er aber bereits eine Stärke von zehn Zentimetern aufwies.
Doch dann gab es einen Abschluss wie eine Gummihaut, und
die löste sich von einem völlig anders gearteten Körper.
Was wir zunächst davon sahen, erschien blässlich fad. Viel
sahen wir allerdings nicht.
Behutsam schnitt einer, der Ernest genannt wurde und von so
hohem Wuchs war, dass er sich beim Überbeugen zum rechten
Winkel bog, die Hülle gänzlich längs auf. Er schälte, löste, wie
eine Kastanie aus ihrem Gehäuse, einen wundersamen Körper
aus dem Schaum.
Auf den ersten Blick konnte man meinen, es wäre ein Kind,
ein menschliches Kind!
Als die Schale völlig aufgeklappt lag, verharrten die Menschen
schweigsam. Es schien, als griffe nun doch die Größe des
Augenblicks nach ihnen, die in dieser ersten Begegnung der
Menschen mit einer anderen Zivilisation lag. Und sei die noch
so verderbt und schädlich.
Ein menschliches Kind? Aber nur auf den ersten Blick.
Ich hatte sofort den Eindruck, es sei ein schönes, ein edles
Wesen, das da vor uns lag.
Die Menschen standen unbeweglich, beeindruckt.
Schließlich sagte die Frau, und sie traf es mit dem einen Wort,
kennzeichnete mit diesem Begriff alle Erhabenheit, auch alles
Übersinnliche, das ihm innewohnte und das dieses Wesen vor
ihnen ausstrahlte: „Ein Engelchen…“
Nun hatte ich zwar meine eigenen Vorstellungen von Engeln,
jedenfalls von denen, die ich gelegentlich in Kirchen auf Bildern
oder als Statuen gesehen hatte. Sie schienen immer groß und
mächtig zu sein, auch wenn sie liebliche Gesichter
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