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Falsche Brüder

Falsche Brüder

Titel: Falsche Brüder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kröger
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Und was würde
nach diesem Inferno werden?
Rauch, Dampf und Staub, überzogen bald das Terrain.
Daraus tönten noch immer Schreie, das Jammern Verwundeter
und vereinzelte Detonationen.
Dann sah ich die entsetzlichen Strahlen nicht mehr. Verdeckte
sie die fast undurchsichtige Atmosphäre?
Der Lärm ebbte ab.
Das Atmen fiel immer schwerer.
Nach einem Hustenanfall bemerkte Hugh mit krächzender
Stimme: „Sie haben aufgehört…“
Aber niemand machte Anstalten, seinen sicheren Platz hinter
dem Erdwall zu verlassen.
Ich lauschte: Außer verhaltenem Stöhnen in der Nähe, einem
entfernten Ruf nach dem Sanitäter, dem gelegentlichen
Aufknistern eines Brandes, dessen orangefarbenes Leuchten
manchmal die dichten Wolken durchdrang, nahm ich keinen
Laut wahr. Ich lauschte angestrengt, obwohl ich wusste: Wenn sie
kamen, dann lautlos.
Später eine Megafonstimme: Befehl zum Abmarsch nach
Süden, zum Sammeln bei der Ortschaft Inari, der Siedlung, die
auf dem Weg der Aggressoren lag und die ursprünglich geschützt
werden sollte.
Ein trauriger Haufe begab sich gen Süden. Versengt,
verwundet verdreckt, nur noch zum Teil mit Handfeuerwaffen
versehen zogen wir dahin.
Wenig unversehrt gebliebene Fahrzeuge reichten nicht aus, die
Verwundeten zu transportieren. Die Toten wurden, da die
nächsten Aktionen des Gegners nicht vorhergesehen werden
konnten, wieder einmal, notdürftig begraben, zurückgelassen.
Und es waren ihrer viele, die meisten, die je bei einem Angriff
umgekommen waren. Mehr als die Hälfte der Kämpfer und über
neunzig Prozent der Technik existierten nicht mehr.
Wir blieben schweigsam während des Marsches. Wir gingen,
nachdem wir die Rauchbank hinter uns gelassen hatten, schnell,
flohen weiterer potentieller Gefahr.
Keiner der gegen Süden Eilenden achtete der strengschönen
Landschaft, ergötzte sich an den in flachen Hügeln
eingebetteten Seen, in denen sich die Sonne und Uferstreifen wie
in Glas spiegelten. Niemand gewahrte die beginnende Ruska, die
Buntfärbung der Blätter…
Ich hatte noch den brenzlig-stechenden Geruch des
Brandinfernos in der Nase, die Todesschreie der Getroffenen
und das Stöhnen der Verwundeten im Ohr. Das Bild des
vernichteten Ernest von der Expertengruppe, von der
ich
lediglich die Frau, die einen Arm in einer Schlinge trug, gesehen
hatte, würde mich ewig verfolgen. Ich dachte an
die
Angehörigen der Gefallenen, die in den nächsten Tagen
die
bittere, niederschmetternde Nachricht erreichen würde.
In diesem Zusammenhang formte sich in mir Dagmars Bild.
Und mit diesem Gedanken steigerte sich – beinahe von Schritt
zu Schritt – die leise ziehende Sehnsucht zum Drang nach einem
Wiedersehen.
In den wenigen Tagen meines Einsatzes an der Front war sie
mir nicht stets intensiv gegenwärtig gewesen. Wir hatten uns
getrennt, als ginge einer zum Einkauf. Selbst in den Minuten vor
dem Einschlafen empfand ich sie oft weit weg. Der fast
ununterbrochene Aufenthalt im Freien, die
ungewohnte
Tätigkeit, die durch die permanente Angst, den Drang zum
Überleben ständig gegenwärtige Beklemmung, all das machte
unsagbar müde.
Irgendwo an einer Stelle des Rings, den die Menschen um die
Eindringlinge gelegt hatten, befand sich Dagmar. Auf der
Flucht war sie sicher nicht. Sie rückte wahrscheinlich mit ihrer
Einheit nach…
Vielleicht birgt sie Leichen, versorgt geschädigte Zivilisten,
darauf gefasst, mich unter diesen oder jenen zu entdecken… „Sie
weiß, dass ich vorn bin, vor ihnen herlaufe.
Oder schießen die Usurpatoren nach allen Seiten?“ Man hörte
von den anderen Abschnitten nicht viel, so gut wie nichts. Aber
fest stand: Der Kampf hatte in den letzten Tagen an Intensität
zugenommen, das heißt an Grausamkeit! Was schon ist das für
ein Kampf, wenn die eine Seite schießt und vorrückt und die
andere davonläuft.
„Aber Dagmar wird unmittelbar mit dem konfrontiert, was sie
hinterlassen…“
Mir vorzustellen, dass ich oder die Freundin in diesem
aussichtslosen Kampf, in diesem Opfergang, hätte umkommen
können, machte mich beinahe krank. Was zählte, waren wir
beide, nicht dieses sinnlose Dahingeschlachtetwerden. Mich
wollte Verzweiflung packen. Einfach alles hinschmeißen, sie
suchen, mit ihr davonlaufen, irgendwohin. Es findet sich ein
Platz, wo die Teufel nicht hinkommen oder vielleicht erst nach
Jahrzehnten, und dann kann man erneut ausweichen. Mögen
sich andere von ihnen schmoren lassen.
Aber schon im Entstehen dieser wirren Gedanken wusste
ich,

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