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Falsche Brüder

Falsche Brüder

Titel: Falsche Brüder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kröger
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hatten. Aber
edel und gerecht, dabei schön und zart sollten sie wohl
verstanden sein. Nun, verkleinerte man einen solchen Engel auf
sechzig Zentimeter, dann war die Ähnlichkeit schon verblüffend.
Es schien, als läge ein Engelchen friedlich schlafend in lang
wallenden Kleidern in diesem grünen Schalenbett. Nur, die
Kleider bestanden aus demselben Material, waren mit dem
Körper eins, als hätte man eine Statuette aus Wachs gegossen. Ja,
aus Wachs, so sah es aus, sofort den Eindruck des Todes
vermittelnd, weißlich, durchscheinend.
Ein menschliches Gesicht hatte es nicht, dennoch, es war
nicht etwa ein tierisches, auf keinen Fall ein abstoßendes. Gerade
dieses Gesicht, auch vermittelte den Eindruck der Sanftmut, des
Liebreizenden. Dieses Antlitz beherrschten große runde Augen,
die, wären sie lebendig gewesen, sicherlich einen eigenen
Glanz hätten. Nun, in ihrer Stumpfheit, unterstrichen sie das
Gütige, das in diesem glatten Gesicht lag. Ein wenig Prognathie
erinnerte an das niedliche Gesicht eines Kätzchens.
Was das Engelhafte aber betonte: Zunächst verdeckt durch
den Körper, deutete sich – wächsern, wie aus einem Stück – so
etwas wie ein Flügelpaar an, das über den Kopf hinausragte und
dessen untere Spitzen wie Fußähnliches aus dem „Gewand“
hervorlugten.
Wir standen und starrten, keiner sagte etwas. Die Größe des
Augenblicks oder das Widersinnige in dieser Begegnung: Ein
Engel – und wenige Kilometer entfernt speien seinesgleichen
Tod und Verderben, wie er selbst vor kurzer Zeit noch gespien
hat.
„Aber ist das so absurd?“, durchschoss es mich plötzlich.
„Sind sie nicht mit Feuer und Schwert, mit dem Engel im Herzen
und gemalt auf den Fahnen, gegen Andersdenkende und
Unwissende gezogen, haben sie nicht erwartet, dass Engel, wenn
es sie wirklich gäbe, mit ihnen stritten oder schützend und
segnend hinter ihnen stünden?“
In mir wallte Hass auf. Da konzentrierte ich den Blick erneut
auf das Wesen. Einfach unvorstellbar, dass Böses von ihm
ausgehen könnte, so schwach und zerbrechlich lag es da mit dem
Habitus eines wirklichen Engels.
„Der Fremde befand sich in der Maschine, die Funken
sprühend über mich geflogen kam“, sagte ich mir abermals. „Und
hätte ich nicht in meinem Käfig gesessen, hätte er
mich
erwischt wie viele der Kameraden. Und wenn er, verdammt
noch mal, aus interstellaren Weiten kommt, hoch technisiert,
mit menschheitsüberlegenem Wissensstand natürlich, dann
musste er einfach erkennen, dass auch wir zivilisierte,
denkende Wesen sind, schließlich haben wir auf diesem alten
Erdball viel und Unverwechselbares geschaffen, und niemand hat
Anlass gegeben, uns hassen zu müssen, jetzt nicht mehr. Also
warum, zum Teufel, kommen sie mordend, zerstörend und ohne
den geringsten Versuch, auch nur eine Silbe, ein Morsezeichen,
eine elektromagnetische Welle mit uns zu wechseln?“
Ich spürte, wie ich mich in meinen Gedanken verstrickte. Da
wurde ich abgelenkt: Dieser Ernest schob seine behandschuhten
Finger behutsam unter das Körperchen, hob es, der scheinbaren
Zerbrechlichkeit Rechnung tragend, außerordentlich vorsichtig
an, was, wie sich alsbald herausstellte, nicht notwendig gewesen
wäre; denn der Fremde war steif wie eine Statue. Aber
immerhin ließ er sich anheben und auf das Gesicht drehen.
Als Ernest seine großen Hände wegnahm, sahen wir, dass das
auf dem Rücken im Leben keine Flügel sein konnten. Dennoch
veränderte sich der erste, engelhafte Eindruck nicht. Der Habitus
blieb Engel. Was er auf dem Rücken trug, nun fliegen konnte
man damit sicher nicht, aber – vielleicht – springen. Das hatte
nämlich Ähnlichkeit mit den Hinterbeinen eines Grashüpfers.
Bislang hatte noch niemand wieder ein Wort gesagt. Ernest,
indem er das Wesen in seine alte Lage brachte, es also gleichsam
erneut in seine Schale passte, fragte ein wenig einfältig: „Was
nun?“ Dabei klappte er die aufgeschnittene Hülle zu, und es sah in
der Tat so aus, als wollten die beiden Hälften an der Schnittstelle
zusammenfließen, so als wären sie niemals getrennt gewesen.
Einer Antwort auf die sicher nicht beantwortbare Frage wurden
alle enthoben. Von draußen drang Lärm herein, Befehle, dann
dröhnten Motoren auf, und wenig später peitschten Schüsse und
detonierten ohrenbetäubend die Treibsätze der Kanonen.
Angriff!
Die Experten stürzten förmlich in sich zusammen, starr vor
Angst. Nur die Frau zeigte so etwas wie Geistesgegenwart.

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