Falsche Brüder
über dem Becken
und der Brust stehen, rollten partiell hin und her. Es sah aus,
als begriffe die Maschine nicht. Dieser Eindruck wurde noch
verstärkt, als man eilig einen Mann herbeischaffte, diesen neben
die Frau auf die Pritsche zwang, ihn „entkleidete“ und
wechselseitig die Prozedur des Abrollens bei ihm und der Frau
wiederholte.
Ich beruhigte mich nur langsam, wusste, was dort nun vorging,
aber es machte mich nicht weniger wütend. Sie lernten die
Gattung Mensch auf ihre Weise kennen. Erst die Anatomie am
lebenden Objekt und nun die Physiologie. Die
Zweigeschlechtlichkeit schien ihnen Probleme aufzugeben, was
den Schluss zuließ, dass sie selbst wohl anders geartet sein
mochten.
Dieser Test dauerte länger. Man drehte die Körper, fand
offenbar die Rückenpartie nicht so interessant; denn es begann
der Vorgang auf der Vorderseite von Neuem.
Die beiden Menschen hatten ihre Ohnmacht überwunden.
Nun, da sie feststellten, dass mit ihnen verhältnismäßig
glimpflich umgegangen wurde, versuchten sie, es der Maschine
so leicht wie möglich zu machen. Sie hatten begriffen, worum es
dieser ging.
Schließlich war auch diese Untersuchung beendet. Wie die
anderen wurden die Körper in den Container geworfen. Ich
beobachtete, wie sich die beiden, überaus vorsichtig und
scheinbar unbeobachtet, über den Containerrand hoben, auf
allen Vieren durch den Raum hetzten und im Winkel eines
kompakten Möbels und der Wand – unweit meiner und Dagmars
Zuflucht – Schutz suchten.
Das Geschehen ging weiter – mit neuen Programmen. Die
Pritsche und der unheimliche Manipulator verschwanden. Die
Greifer standen leblos. Nur die Kugeln veränderten ab und an
unstet wie Riesenkolibris den Standort.
Man schubste nun mit unsichtbarer Kraft eine Frau in den
Raum. Ein einfacher mechanischer Arm hielt der zu
Tode
Geängstigten ein aufgeschlagenes Buch entgegen.
Ich konnte aus der Entfernung gerade noch ausmachen, dass ein
kleiner, heller Lichtfleck auf dem Papier stand.
Als sich die Frau unmittelbar vor dem Buch befand, begann
dieser Fleck über die Zeilen zu wandern, blieb stehen, schnellte
auf den Ausgangspunkt zurück. Das wiederholte sich. Und es
hatte den Anschein, als bekäme die Frau jedes Mal von einer
unsichtbaren Faust einen Rippenstoß.
Ich hatte viel eher begriffen als die Gequälte. Schließlich, auch
auf die Gefahr hin, dass ich mich verriet, rief ich verhalten: „Lies,
du sollst lesen!“ Ich glaubte, zögerte die Frau noch lange, sie
würden sie beiseite tun – auf ihre Art – und eine andere holen.
Sie begann stockend, las sich dann rasch ein im Rhythmus der
Bewegung des Leuchtpunkts, der diskontinuierlich
glitt,
manchmal sogar „forderte“, ein Wort zu wiederholen.
„Sie lernen, mit uns zu sprechen“, flüsterte Dagmar.
Wir achteten nicht darauf, was diese Frau las. Es war irgend
eine aus dem Zusammenhang gerissene wissenschaftliche
Abhandlung über die Bodenfruchtbarkeit, ein antiquierter Text,
worauf nicht nur die Tatsache hinwies, dass sie ein papierenes
Buch verwendeten, sondern auch der Inhalt selbst. Wo schon
brachte man heute noch mineralischen Stickstoffdünger auf die
Felder?
Aus einem der Schränke glitt eine Tafel, ein Pappschild
vielleicht. Ein mobiler Greifer nahm es auf und fuhr auf die
erschrockene Frau zu, legte das Schild auf das Buch. Und wieder
zuckte ruckweise die Lichtmarke, verhielt, blinkte zum Zeichen,
dass wiederholt werden sollte.
Dagmar und ich sahen Buchstaben in ungeordneter Folge, die
die Frau laut las.
Alsbald reagierte die Maschine ungeduldig. Man sah es an dem
nachdrücklichen Flattern des Leuchtpunkts auf ein und derselben
Stelle. Der Körper der Frau wurde unsichtbar gestoßen, sie
blickte zunehmend verstört.
Diesmal erfasste Dagmar, was die Usurpatoren vorhatten.
Auch sie konnte nicht an sich halten. Sie legte die Hände
trichterförmig an den Mund und raunte: „Du musst lautmalen,
nicht wie im Alphabet buchstabieren. Nicht ,em’, sondern
,m’!“
Die Frau reagierte sofort.
Dagmar hatte das Richtige getroffen, fortan wurde nicht mehr
schikaniert. Endlos musste die Unglückliche die Buchstaben
wiederholen. Später schubste man noch einen Mann hinzu, der
ebenfalls buchstabieren und Teile des Textes lesen musste.
Unvermittelt endete der gesamte Testspuk. Die beiden Leser
wurden wieder zu den übrigen Menschen zurückgedrückt. Die
unsichtbare Einfriedung blieb, aber sie schien gelockert, sodass
sich jeder freier bewegen konnte.
Nach einem kurzen
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