Falsche Brüder
auf, Licht blendete, doch kein
allzu intensives.
Alex hielt schützend den Unterarm vors Gesicht. Ich wandte
mich vom Eingang ab, ging jedoch seitlich auf die Luke zu und
beugte dann vorsichtig den Oberkörper nach draußen. Ich
übersah eine ziemlich große, glatte, wie es
schien,
selbstleuchtende Fläche, einen Fußboden, der einen Kreis bildete,
dessen Rund jedoch durch eine gerade Wand begrenzt wurde. Im
Winkel, den diese Wand mit dem Fußboden bildete, kauerten,
lagen, vereinzelt auch standen Menschen, fünfzig, achtzig?
Ich verhielt unschlüssig, trat dann ganz nach draußen, sah zu
den Menschen in vielleicht zwanzig Meter Entfernung, sah nach
oben, eine Kreisfläche begrenzte dort den Raum, nur weniges
über meinem Kopf. Auch aus der Decke drang diffuses Licht.
„Komm raus, Alex!“, forderte ich. „Hier ist nichts weiter, nur
Artgenossen.“
Alex kam zögernd.
Ich stand ebenfalls noch völlig unschlüssig.
„Seht euch die an!“, rief einer aus der Menge.
Es klang eigenartig gedämpft, als hätte man dem Rufer eine
Decke übergehängt.
Und dann eine Frauenstimme: „Sie genieren sich, die nackten
Jungs. Seht doch!“
Obgleich beide Bemerkungen wohl freundlich-spöttisch
gemeint waren, lachte niemand.
Aber plötzlich sprang ein Schrei auf, kraftlos stand er dünn in
dem gespenstischen Raum „Igor!“ Und eine Gestalt löste sich
von der Wand, stürzte auf uns zu und fiel mir um den Hals.
„Dagmar!“ Ich stammelte es ungläubig, rief es, flüsterte es,
immer wieder, als ich sie längst an mich gepresst hielt.
Alex starrte auf die Szene, begriff nicht. Von den übrigen
Menschen drang, als wären sie von diesem
unwahrscheinlichen Wiedersehen angerührt, kein Laut herüber.
Dann hatte ich mich mühsam gefasst, hielt Dagmar, an beiden
Schultern von mir und fragte: „Wie, um alles in der Welt,
kommst du hierher?“
Sie zog eine komische Grimasse, wies ein wenig theatralisch auf
die Halbkugel. „Genau wie du.“
„Wie lange bist du hier, erzähle, was wollen sie?“
„Keine drei Stunden. Was sie wollen, weiß keiner. Sie greifen
uns und sperren uns hier rein. Etwas Gescheites haben die nicht
im Sinn, das ist das einzige, worauf ich mich verlassen
möchte.“
Wir waren während dieses kleinen Disputs zu den anderen
getreten.
„Wo kommt ihr her?“, fragte einer.
„Aus Inari“, antwortete ich.
„Inari sagt mir nichts. Frontabschnitt!“
„Süden.“
„Süden, ah!“
Einige andere wurden aufmerksam, zwei, drei erhoben sich
sogar, kamen näher. Erst jetzt gewahrte ich, dass der Frager die
Schärpe eines Hundertschaftsführers trug.
„Was – ,ah?“, fragte ich.
„Ihr seid die ersten von dort.“
Ich runzelte die Stirn. „Und?“, fragte ich. „Wo ist da der Witz?“
Man hatte uns Respekt vor den Vorgesetzten gelehrt. Aber galt
hier noch Gelehrtes? Ich hielt die Fragerei für überflüssig. Ich
hatte Dagmar gefunden, endlich! Mit ihr wollte ich sprechen.
Und meine Gedanken kreisten irrsinnig nur um das eine: „Raus
hier, schnell raus, mit Dagmar. Was interessierte jetzt der
Frontabschnitt, was die Schärpe. Raus und leben mit Dagmar!“
Selbst an Alex, der sich in der Gruppe eingereiht und
niedergekauert hatte, dachte ich nicht. Unstet durchkreiste mein
Blick den Raum, und fest hielt ich Dagmars Hand in der meinen.
„Wir sind alle vom Ring“, sagte der Hundertschaftsführer.
„Wie sieht es – vorn aus?“ Die Frage klang besorgt, nicht wie
rapportheischend.
Auf einmal verstand ich. Der Mann hatte wie alle Angst und
war begierig, vielleicht etwas zu hören, was ein wenig hoffen
ließ, etwas zu erfahren, was sich von dem, was sie wussten,
unterschied. Und vorn, so vermuteten sie wohl, geschah anderes
als im Ring, von vorn wusste man, dass dort gekämpft wurde –
und gestorben, vorn konnte also Entscheidendes geschehen.
Ich lachte bitter. „Sie treiben uns zuhauf, erblitzen und
schmoren uns, kneifen uns die Eingeweide aus dem Leib.“ Ich
keifte es daher, mit Ekel und Sarkasmus in der Stimme. „Was
willst du wissen? Wie wir sie schlagen, wie die Unseren bald hier
sein werden und uns rausholen aus dem Zirkus?“ Ich ballte in
ohnmächtiger Wut die Fäuste, schüttelte sie gegen die Decke.
Es herrschte betretenes Schweigen.
Dagmar legte mir den Arm um die Hüften. „Beruhige dich“,
sagte sie leise. „Vielleicht…“ Sie sprach nicht weiter. Ihr war
eingefallen, dass es nur ein Gemeinplatz hätte sein können,
niemals ein Trost.
Ich fing mich schnell, griff nach
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