Falsche Brüder
ihrer Hand. „Schon gut“,
sagte ich.
Im Hintergrund weinte leise eine Frau.
Ich zog Dagmar sacht hinweg, an den Rand der Gruppe, schon
nicht mehr an die gerade Wand, sondern zum Rund. Wir setzten
uns, Dag schmiegte sich an mich, eine Weile sagten wir nichts.
Ihre Tränen rollten über meine Brust. Ich strich ihr übers Haar.
„Es wird gut“, sagte ich dann leise. „Es muss gut werden, hörst
du. Wir werden hier rauskommen.“ Meine Stimme wurde
zunehmend beschwörender. Ich beugte mich zurück, damit ich
ihr ins Gesicht sehen konnte, dann küsste ich ihr behutsam
die Tränen von der Wange, von den Wimpern. Und sie
lächelte schwach. Später erklärte ich im veränderten Tonfall:
„Ich sage keinen Unsinn, Dagmar. Wir bekommen unsere
Chance. Sie wollen etwas von uns, das ist offensichtlich. Sonst
würden sie doch keine Umstände machen, haben sie
nie
gemacht. Ein Blitz, ein Lichtbalken, aus der Mensch, weg, ohne
Brimborium. Wir müssen die Chance nutzen, wir müssen dazu
in der Lage sein. Wir brauchen Verstand.“ Ich nickte ihr zu,
glaubte in diesem Augenblick selbst fest an das, was ich sagte.
„Wie hat man euch gegriffen?“
„Sie änderten plötzlich ihre Taktik. Wir rückten vor, sie
schlossen uns ein, metzelten, es war grauenhaft…“ Dagmar,
unterbrach sich, barg ihr Gesicht an meiner Schulter.
Ich strich ihr übers Haar. „Ich weiß“, sagte ich leise.
„Sie zwangen die meisten von uns in die Glocke, die nur Idioten
entlässt, so wie sie die Einwohner ganzer Gemeinden, die ersten,
die an so Ungeheuerliches nicht glauben mochten, zu Idioten
gemacht haben.“ Wieder hielt Dagmar inne, übermannt vom
Erinnern. „Bald wäre ich an der Reihe gewesen, Igor. Dann muss
ein anders lautender Befehl eingetroffen sein. Sie legten die
Glocke still, schoben uns in ein Fahrzeug, brachten uns hierher.“
Dagmar klammerte sich in einem plötzlichen Anfall von Angst
an mich.
Ich streichelte ihren Rücken. Gleichzeitig empfand ich die
wohlige Wärme, die von ihrem Körper ausging, die ein Gefühl
der Geborgenheit gab, auch Zuversicht.
Dann begann das Entsetzliche. Die Menschen, die sich an der
geraden Wand befanden, und es waren außer Dagmar und mir
alle, strebten plötzlich auf einen Punkt zu, wurden, so stellte es
sich dem Beobachter dar, von einer unsichtbaren Kraft
zusammengetrieben, gepfercht, bis sie schließlich eng an eng
gepresst standen oder lagen. Die Kraft – vielleicht die nämliche,
die ich bereits kannte – erwies sich als so stark, dass sie selbst
die, die sich lang ausgestreckt hatten, über den Boden in den
Pferch schleifte.
Die Menschen schrien, wüteten, stemmten sich gegen diese
Macht. Vergebens. Jedem schien klar, dass mit diesem Akt eine
neue Teufelei der Eroberer eingeleitet wurde.
Im ersten Augenblick löste sich Dagmar von mir, offenbar im
Bestreben, in irgendeiner Weise helfend einzugreifen. Ich
erwischte ihre Hand, hielt die Freundin gewaltsam zurück, zwang
sie sogar, sich mit mir noch weiter von dem Geschehen zu
entfernen.
Schließlich gab Dagmar den anfänglichen Widerstand auf. Sie
hatte wohl begriffen, dass sie im Augenblick gegen das, was da
wirkte, nichts zu unternehmen imstande war, sicherlich auch nur
in den Strudel geraten wäre.
Wir gelangten schließlich an die mit offener Luke wie wartend
stehende Halbkugel, die mich und Alex gebracht hatte. In sie
hinein uns zu retten, wagte ich nicht. Aber ich zog die Freundin
in den sphärischen Winkel, den das Gefährt mit der gekrümmten
Wand des Raumes bildete. Immerhin gewährte der Schlupf in
diesem Augenblick eine Scheinsicherheit.
Dann sahen wir zurück. Langsam senkte sich die Trennwand
in den Boden und gab den Blick frei auf das bis dahin unsichtbar
gebliebene Zylindersegment. Viel gab es dort nicht zu sehen.
Doch ich umfasste Dagmar fester, drückte mich mit ihr noch
tiefer in die Ecke.
Im Menschenknäuel vorn waren die Rufe und das Wimmern
erstorben, als lähmte Entsetzen die Zungen.
Zwei der Greifroboter standen an der gebogenen Wand im
Hintergrund. Vor ihnen schwebten vier Kugeln. Das
Furchteinflößendste jedoch war eine Pritsche von zwei Meter
Länge, über der eine Maschine wie ein Krake lauerte.
Diese Maschine hatte wohl Ähnlichkeit mit unseren
medizinischen Robotern, die für Diagnosezwecke oder auch
Routineoperationen eingesetzt werden, die aber vom Design her
meist beruhigend oder sogar human wirkten. Ganz anders dieses
Monstrum.
Zunächst fiel auf, dass der Konstrukteur überhaupt
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