Falsche Brüder
unsere Köpfe. „Macht’s gut,
Jungs“, sagte er und klopfte uns auf die Schulter. „Ich würde
gern mitkommen…“
In seiner Stimme schwang echtes Bedauern. Und ich bedauerte
es auch aus tiefstem Herzen und aus durchaus eigennützigen
Gründen, dass er am Ufer zurückblieb.
Hugh bestimmte noch, dass wir nicht erst bis ins Tiefe wateten,
sondern gleich bis zum Hals ins lehmgelbe Wasser tauchten und
uns dann der Strömung, das foliengeschützte Bündel an den Leib
gepresst, überließen.
Wir erreichten ohne Anstrengung, zweihundert Meter
unterhalb der Stelle, an der wir in den Fluss gestiegen waren, das
gegenüberliegende Ufer.
Als ich aus dem Schlick stieg und mich dabei umwandte,
glaubte ich drüben einen Augenblick das gute Gesicht Hughs
hinter Gebüsch zu sehen…
Sven befand sich gut dreißig Meter stromauf von mir. Er hatte
sich kräftiger durch die Strömung gedrängt als ich. Aber wir
hatten auch verabredet, nicht unmittelbar gemeinsam
vorzugehen. Packte der Gegner zu, würden wir sonst gleich
beide erledigt sein. So bestand die geringe Chance, dass sich
wenigstens einer in Sicherheit bringen konnte. Abgesprochen war
auch, dass keiner von uns beiden einen Versuch unternehmen
sollte, erwischte es den anderen, ihm womöglich zu Hilfe eilen
oder ihn befreien zu wollen. Sven und mir war das nicht
aufgetragen worden, wir hatten uns so verständigt, und basta!
Außerdem, was schon würde in einer solchen Situation der
andere erreichen? Mit einiger Sicherheit zum Untergang des
Kameraden den eigenen…
Ich zog mich an, sah mich gar nicht nach Sven um, sondern
verstaute meine Utensilien in der Tarnkombination, dann sagte
ich in mein Minigerät hinein: „Ich gehe los.“
Und ich wusste, Sven würde mir in Sichtweite folgen, würde
einen Piepton senden, wenn er mich verlöre.
Ginge ich unter, würde Sven versuchen, die Aufgabe
fortzuführen. Ich hatte ihn den ganzen Nachmittag über meine
Erlebnisse berichtet, hatte ihm meine Eindrücke
vermittelt.
„Falls es so kommen sollte“, so hatte ich meine Instruktion
beendet, „und du triffst auf Dagmar, nimm sie mit, wenn du
kannst. Und wenn sie dann wieder – gesund ist, grüß sie von
mir!“ Ich hatte nicht verhindern können, dass mir bei diesen
Worten ein Kloß in die Kehle stieg.
Was wir suchten, wussten wir nicht. Wir drangen aufs
Geradewohl vor. Da die Stellungen erst bezogen worden waren,
lagen Ergebnisse einer Fernaufklärung, sofern überhaupt jemand
an solches gedacht hatte, nicht vor. Wir wussten also weder,
wo der Gegner steckte, noch, wie er sich bewegte. Wir standen
vor der Alternative, tagelang ergebnislos herumzustapfen oder
jeden Augenblick unverhofft auf ihn zu stoßen beziehungsweise
von ihm aufgegriffen zu werden, was viel an Wahrscheinlichem
barg.
Mich hatte ein unbestimmter Drang ergriffen, in die Gegend zu
gelangen, in der sich das große Folienzelt befinden sollte. Hugh
und Sven glaubten auch, dass man so etwas nicht einfach auf
die grüne Wiese setzte. Dort könnte sich ein Stützpunkt befinden,
vielleicht sogar das Hauptquartier, und diese Gegend kannten wir
ein wenig. Sie hatte nur den Nachteil, dass sie sich sechzig
Kilometer nördlich von unserem gegenwärtigen Standort
befand und wir zu Fuß im weglosen Gelände drei Tage bis
dorthin benötigen würden. Wir hatten uns also diese Route
vorgegeben, eine Orientierungslinie auch, man würde jeden
zweiten Tag ein Flugzeug schicken, das Lebenszeichen von uns
einfangen sollte. Das war besser als nichts, wobei aber
niemand wusste, ob die Fremdlinge nicht mittlerweile in der
Lage waren, auch ein drei Kilometer hoch fliegendes Flugzeug –
weiter reichten unsere Funkgeräte nicht – einfach abzuschießen.
Wir würden sehen…
Auf dieser Linie lag fünfunddreißig Kilometer nördlich vom
Fluss das Dorf Viljaniemi. Dort – so stellte sich heraus – gab es
ein Evakuierungsdefizit, wie mir Kärleinen mitgeteilt hatte. Ein
schlimmer Begriff, hinter dem sich Schlimmeres verbergen
konnte. Achtundzwanzig Einwohner blieben vermisst. Ich hatte
darauf bestanden, dieses Dorf aufzusuchen. Da keiner wusste,
was und wie zu erkunden wäre, hatte niemand einen Einwand.
Diesem Dorf schritt ich nun mit dem Kompass in der Hand,
stets auf die Marschrichtungszahl achtend, so schnell wie
möglich – ohne mich zu verausgaben – entgegen. Und das
machte sich so einfach nicht. Die Richtung führte über ein
riesiges, mit Büschen bestandenes Ried mit batzigem
Untergrund. Ich schwebte
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