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Falsche Brüder

Falsche Brüder

Titel: Falsche Brüder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kröger
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aber als wir den
Bericht hörten…“
Ich zuckte mit den Schultern, lächelte. „Im Prinzip schon…“
Wir gingen zurück zum Jeep, unser Gepäck zu holen. Hugh
bedeutete Sven, dass in seinem Zelt noch Platz sei, Sven könnte
sich dort einrichten. „Du musst ja nun zu deinesgleichen“, sagte
er mit einem Seitenblick auf mich, und er lächelte dabei. „Für
einen Schluck wirst du sicher Zeit haben, kommt!“
„Hugh, das ist sehr nett von dir, aber ich würde mich gern ein
wenig frisch machen und
– Dagmar aufsuchen.
Deinen
Begrüßungsschluck trinken wir später, hm?“
Hugh blieb stehen, sah zu Boden, in die Luft. In seinem Gesicht
arbeitete es. Das Ganze dauerte keine drei Sekunden. Und doch
wusste ich, ich würde Dagmar nicht begrüßen können. Ich
fühlte, wie ich zu Eis wurde. Wie eine zähe Flüssigkeit stieg’s
in mir auf, verdrängte gleichzeitig das Warme, das gute Gefühl
über den Empfang, das mich bis zu diesem Augenblick gefangen
gehalten hatte.
Ich packte Hugh an den Schultern, drehte ihn zu mir herum,
suchte seinen Blick. „Hugh, was ist mit Dagmar, wo ist sie?“ Mir
war, als spräche ein Fremder. Gleichzeitig wunderte ich mich
über die Ruhe, mit der ich das sagte. Ich fühlte einen Schmerz in
mir, der mich zum Schreien trieb. Alle grausigen Bilder standen
plötzlich wieder plastisch vor mir, die Gräuel, das Blut. Ich hörte
die Schreie der Gequälten, sah in die stumpfen Gesichter der
Entgeisterten…
Hugh blickte mich an, zögerte mit einer Antwort.
„Sag es mir!“ Mein Griff wurde fester, ich rief es nun drängend,
drohend.
Hugh löste sich aus meinem Blick, er sah abermals zu Boden.
Ich ließ ihn los, wusste, er würde sprechen.
„Drei, vier Kilometer von hier, auf dem Marsch zu dieser
Stellung – etwa drei Tage nach deiner Abreise. Vier dieser
Schweber packten den Lastkraftwagen und schleppten ihn
hinweg. Glaub mir, Igor, da war nichts zu machen.“
Ich nickte mechanisch. Ja, da war wohl nichts zu machen.
Hugh war keines von den Häschen. Wenn’s möglich gewesen
wäre, er hätte eingegriffen. „Du warst dabei“, sagte ich
gedankenabwesend. Es war keine Frage.
„Es war nichts zu machen“, wiederholte er.
Ich nickte stärker. Dann erzählte ich, es war, als spräche ich im
Traum, als rückte die Wirklichkeit ab von mir, als wäre das
Geschehen um Dagmar jenseits des Fasslichen: „Auf dem Weg
nach Ivalo überfielen sie einen Bus. Mit Trossen wollten sie ihn
hochziehen, mitnehmen. Das klappte nicht. Wir haben sie
abgeschossen, was, Sven? Das war eine Freude. Seitdem weiß
ich, dass man mit diesen Werfern so etwas machen kann.“
Hugh und Sven schwiegen. Ich biss auf die Lippen. Als senke
sich eine unerträglich schwere Last auf mich, wurde
mir
bewusst: Sie haben Dagmar, sie haben Dagmar entführt. Und
ich sah überdeutlich die Durchgangskabine vor mir, durch die sie
alle mussten nach dieser anatomischen Untersuchung und
Sprachlektion in unserer Gefangenschaft. Und ich sah abermals
Alex, jenen Weichling, mit dem idiotischen Gesichtsausdruck
an mir vorüberstolpern. „Ein großes Gewächshaus“, hatte der
Kraftfahrer gesagt.
Wir gingen langsam. Ich starrte auf den Boden, hätte trotzdem
keine Unebenheit gesehen. Ein leichter Schwindel überfiel mich.
Ich atmete tief.
„Fass dich, Igor“, raunte Hugh, aber in einem Ton, der deutlich
machte, dass er um seine Ohnmacht wusste, dass ich mit diesem
Unabdingbaren selbst fertig werden musste.
Ich rang nach Fassung.
„Du hast einen…“ Die Worte klangen gequält. Sie
durchdrangen den Kloß in meiner Kehle kaum. Ich strengte
mich an. „Drink“, sprang mir dann überlaut heraus. „Worauf
wartest du?“
Hugh sah mich an, nahm mich am Arm und sagte:
„Komm…“
„Ich werde den Jeep in den Wald fahren, er ist so bunt“, sagte
Sven zaghaft, und er kehrte um.
Wie ich über die folgenden Stunden gekommen bin, weiß ich
nicht so recht. Ich hatte mit Hugh eine Flasche finnischen Wodka
geleert, eine hochprozentige, rachenreißende Substanz.
Als ich aufwachte, wusste ich zunächst nicht, wo ich mich
befand. Ich gewahrte, dass man mich in einem kleinen
Einmannzelt untergebracht hatte – sicher eine Vorsorge von
Hugh. Und langsam kam die Erinnerung.
Dagmar!
Wieder quälten mich Phantasiebilder. Ich sah sie
stumpfsinnigen Blicks in einer Kolonne Gleichartiger unwirklich
schreiten, vor dem Leib einen Korb tragend, und
sie
verschwanden alle hinter einem Vorhang, der den Eingang zu
einem riesigen Zelt

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