Falsche Brüder
Gruppenführer gemacht,
und er musste natürlich andere Aufgaben wahrnehmen. Aber
Sven ließ sich nicht halten. Selbst meine Bedenken und das
direkte Abraten Hughs beeindruckten ihn nicht. Warum sonst,
sollten wir ihm sagen, sei er wohl so erpicht gewesen, sich mir
anzuschließen? Er sei glücklich, dass sich eine solche Chance
so schnell ergeben habe.
Die Besessenheit des Kameraden und wie er das sagte, uns
dabei nicht ansah, brachten mich auf den Gedanken, dahinter
stecke mehr, als er bisher mitgeteilt hatte. Das war nicht nur
blinder, tollkühner Abenteuerdrang… „Nun, ich werde die
nächste Zeit auf Gedeih und Verderb mit ihm zusammen sein.
Wenn es da etwas gibt, wird es wohl ruchbar werden.“
Hugh bedachte uns mit einer Reihe von Ratschlägen, die ich
mir sehr genau anhörte.
Sven schien geneigt, sich über das eine oder andere
hinwegzusetzen. Aber ich kannte Hugh, und ich hatte in der
kurzen Zeit unseres Kontakts eine Menge von ihm gelernt. Er
war es auch, der uns riet, nicht die Nacht abzuwarten, sondern
bereits in der Dämmerung den Fluss zu überschreiten; denn
schließlich wollten doch wohl wir etwas sehen und nicht
blindlings irgendwo hineintappen. Es sei anzunehmen, dass die
anderen, wenn sie auch bisher keine dringende Veranlassung
dazu hatten, über Mittel verfügten, die ihnen signalisieren
mochten, wenn sich etwas annähere, auch – aber selbst das wisse
man nicht – sei es möglich, dass sie nachts sehen können.
Ich bedauerte in diesem Zusammenhang, dass diese
Expertengruppe erst in den nächsten Tagen eintreffen würde.
Vielleicht hatten sie doch Erkenntnisse gewonnen beim Verhör
des Gefangenen, die uns bei unserer Mission von Nutzen sein
konnten. So recht vermochte ich allerdings daran nicht zu
glauben.
Wir rüsteten uns mit wenigen Dingen aus, wohl überlegt und
sehr unterstützt von Hugh: kleine Handfeuerwaffen,
Minifunkgeräte, zwei Sätze hochbrisanten Sprengstoffs, eine
lange, dünne, aber äußerst haltbare Leine, Angelhaken,
selbstverständlich Kartenmaterial und Kompass, mehrere
Messer, einige davon am Körper versteckt, Nägel, Nadeln, kaum
Toilettenartikel, natürlich Nahrungskonzentrate und
einige
Sondermedikamente. Eine faustgroß zusammengewickelte Plane
aus einer neuartigen Dämmfolie war unser ganzer Schutz gegen
alle Witterungsunbilden.
Als ich Hugh gegenüber meine Bewunderung ob dieser
Umsicht zum Ausdruck brachte, meinte er, ich solle mich bei
einen gewissen May bedanken oder vielleicht auch bei Hughs
Großvater, der ihm als Jungen dicke Bücher von jenem Herrn
zugesteckt habe… Vieles sei antiquiert, aber wer schon konnte
ahnen, dass die Menschen wieder auf Kriegspfad gehen würden.
Uns blieb der Sinn seiner Rede ein wenig dunkel. Mehr über
diesen Herrn May wollte uns Hugh erzählen, wenn wir wieder
zurück wären.
Nun, so wichtig schien mir das nicht, Hauptsache, unsere
Ausrüstung bewährte sich, und alles sprach dafür.
Hugh begleitete uns ein Stück stromauf, bis wir auf eine Stelle
trafen, an der sich der Fluss durch zwei Hügel hindurchdrängte
und demzufolge sein im ganzen träges Dahinströmen in Hüpfen
und walmendes Strudeln verwandelt hatte. Hier, meinte Hugh,
wäre eine gute Stelle den Fluss zu überwinden, was mich
zunächst bedenklich stimmte. Ein exzellenter Schwimmer war ich
nicht. Sven hingegen schien mit dem Vorschlag sofort
einverstanden. Wir sollten weniger schwimmen als steuern, rief
Hugh, uns von der Strömung ans andere Ufer tragen lassen, so
wären wir auch am besten getarnt. Das Letzte sagte er mit
Nachdruck.
Von diesem Zeitpunkt an war mir im tiefsten Innern bewusst,
worum es ging. Sobald wir den Fuß in dieses Wasser setzten,
waren wir theoretisch dem Gegner ausgeliefert, der, wenn es ihm
gefiele, mit uns würde seine Spielchen treiben können, der uns
zu sklavischen Idioten machen oder töten würde. Es sollte aber
keines von beidem geschehen, also war jeder Schritt, jedes
Bewegen vorher nach allen Richtungen abzuwägen, ob im
Augenblick als notwendig erkannt oder nicht. Was notwendig
war, durfte nicht ausschließlich den anderen überlassen bleiben.
Eine solche Erkenntnis konnte für uns schon die letzte gewesen
sein. Niemandem würde es nützen, nicht Dagmar, nicht den
Kameraden, am wenigsten uns, wenn wir das Heer der
Gefallenen um zwei vergrößern würden.
Hugh riss von einem Klettenbusch die zwei größten Blätter
ab, zog den gebogenen Stiel durch die Blattspitze und stülpte
die so gefertigten Diademe auf
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