Falsche Brüder
ständig in Gefahr, mir die Füße zu
verknacksen. Aber einen Vorteil hatte diese Landschaft schon.
Niedrige, mannshohe Büsche boten Deckung, und man
konnte selbst einen großen Teil des Luftraums kontrollieren und
hatte auch ab und an weite Sicht nach vorn.
Ich mochte wohl eine Stunde gelaufen sein, fühlte mich
eigentlich reif für eine Rast, war zu träge, die linke Hand aus
der Schlaufe zu nehmen, weil sie das Einschneiden des
Tragriemens linderte, und konnte so nicht die genaue Zeit
feststellen, als mein Funkgerät Alarm flötete. Sven musste etwas
entdeckt haben. Ich sprang sofort zu einem Busch und kauerte
mich unter einen auskragenden Ast.
„Seitlich links hinter uns ein Schweber“, raunte Sven.
Ich drehte mich in die genannte Richtung und hatte das
Flugzeug sogleich im Blick. Es flog niedrig und langsam und
befand sich so nah, dass eine aufmerksame Besatzung mich hätte
entdecken müssen. Aber entweder ignorierte man mich oder
war eben nicht aufmerksam. Der Schweber zog vorüber,
schleppte einen Kleintransporter mit sich, und ich glaubte,
soweit die aufziehende Dämmerung das zuließ, hinter den
Fenstern angstverzerrte Gesichter wahrgenommen zu haben.
„Sie verfolgen also ein Programm“, dachte ich, „sammeln
Menschen, brauchen sie zu irgendeinem Zweck, schaffen sie zu
einem Punkt, einem Stützpunkt! Dorthin, wo sie Tage vorher
Dagmar hingeschafft haben! Dorthin also muss ich. Dort lösen
wir die Aufgabe, und dort treffe ich Dagmar.“
„Sven – er fliegt den kürzesten Weg – wir nehmen seine
Richtung auf.“ Ich sah zur Uhr. „In vierzig Minuten Schlafrast.
Gegen ein Uhr wird es hell genug sein für den Weitermarsch.
Schlaf gut, Ende.“
Was ich dem Gefährten wünschte, gelang mir nicht. Ich schlief
miserabel. Die Folie ersetzte zwar jede andere Bedeckung, nicht
aber eine angenehme Unterlage. Vorn an der Front hatten wir
wenigstens noch Luftmatratzen. Zu allem Überfluss plagten
mich Insekten, später, als ich doch einduselte, Alpträume. Ich war
daher recht froh, als sich die kurze Nacht des nördlichen
Spätsommers auf einem grauen Streifen aus dem dunstigen Ried
hob, allerlei Vögel ihr Morgenlied schmetterten und wieder zu
sehen war, wo man hintrat. Svens kurzes Brummen nach
meinem Anruf deutete darauf hin, dass er wohl Anderes dachte.
Der weitere Marsch hinterließ nicht die besten Eindrücke. Das
Ried wechselte ab mit Wald und Flachmoor, oftmals durchzogen
Rinnsale, in keine Karte eingezeichnet und zum Überspringen zu
breit, das Land, stets blieb der Boden uneben, ausgesprochen
laufunfreundlich. Dennoch nahm mich die Umgebung nicht voll
in Anspruch. Mich begann die Einsamkeit zu belasten, und einige
Mal hätte ich mich hinstellen und die wenigen Minuten auf Sven
warten mögen. Manchmal glaubte ich unweit das Rascheln der
Zweige zu hören, wenn es besonders dichtes Gestrüpp zu
durchbrechen galt. Vielleicht wurde dieses Gefühl der Einsamkeit
durch die zunehmende Furcht hervorgerufen, eine Furcht, die
konkret nicht bestimmbar schien, die jedoch
zuweilen
kribbelnde Schauer verursachte. Ich erinnerte mich, wie wir als
Kinder im Dunkeln Gespenster spielten, mit ausgestreckten
Armen, jederzeit gewärtig, auf einen von uns zu stoßen oder
selbst gehascht zu werden. So ähnlich überkam es mich auf
diesem Marsch.
Noch zwei Schweber überflogen uns, beide in der gleichen
Richtung und beide mit ähnlicher Fracht. Die Fremden schienen
sich auf kleinere Fahrzeuge spezialisiert zu haben. In einem der
Wagen, die geschleppt wurden, befanden sich nur zwei Personen.
Sie schienen wirklich an Menschenmangel zu leiden, wenn sie
die Leute schon einzeln mit großem Aufwand auflasen.
Einmal verständigte ich mich eine längere Zeit mit Sven – wir
wollten auch mit dem Funken vorsichtig sein. Denn obwohl wir
so genannte Richtfunkgeräte verwendeten, streuten die Wellen
beträchtlich. Niemand durfte annehmen, unsere ungebetenen
Besucher wären nicht in der Lage, irdischen Funkverkehr zu
bemerken und abzuhören. Die Linie, auf der wir uns bewegten
und die uns die Flugrichtung der Schweber eingegeben hatte,
führte direkt auf einen weidewirtschaftlichen Komplex zu, der,
auf der Karte noch als „perspektivisches Vorhaben“
gekennzeichnet, ziemlich neu sein musste. Und es ging bei
unserer Kontaktnahme darum, dass wir diese Stätte aufsuchten,
bevor wir auf unsere ursprüngliche Route zurückkehren würden.
Am frühen Nachmittag erreichten wir ein Gelände, das
vielleicht schon als
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