Falsche Froesche
Dann, wenn er lächelt, zwischen schüchtern und verwegen, blitzt etwas Geheimnisvolles auf. Man möchte näher rücken und seine Geschichte hören.
Er ist Arzt, gebürtiger Deutscher, aufgewachsen in Brasilien. Obwohl er vom Millionenerbe seines Vaters, der mit Beteiligungen an Eisenerzminen im Amazonas ein Vermögen machte, leben könnte, studierte er an der Universität von São Paulo Medizin. Nach dem ersten Jahr als Unfallchirurg beschloss er, dem Sterben psychisch nicht gewachsen, in die Baubranche zu wechseln. Seine Firma, mit Schwerpunkt Solarenergie, floriert. Zwecks Expansion nach Europa hat er soeben den Zweitsitz in seiner Geburtsstadt Hamburg eröffnet. Um der Medizin nicht gänzlich den Rücken zu kehren, arbeitet er bei der Freiwilligenorganisation »Ärzte ohne Grenzen«. Mit den Einsätzen für Menschen in Not möchte er ein wenig von dem, was das Leben ihm geschenkt hat, zurückgeben.
Ein Jammer, dass er wegen eines Gerichtstermins nach Brasilien fliegen muss. Seit zwei Jahren läuft das widerlicheScheidungsverfahren. Von einem beinharten Anwalt, übrigens einst sein bester Freund, angestachelt, das ohnehin äußerst großzügige Unterhaltsangebot in die Höhe zu treiben, erpresst seine Frau ihn mit dem Besuchsrecht. So gerne er diese Ehe beendet sähe, seine beiden Töchter will er um nichts in der Welt verlieren.
Der Abschied fällt ihm schwer. Wie gerne würde er Sie in die Toskana begleiten, wohin Sie nach dem Wellnessurlaub aufbrechen. Vom ursprünglichen Wunschziel, der Amalfiküste, haben Sie nach reiflicher Überlegung Abstand genommen. In Positano bei Kerzenlicht auf einer Terrazza zu sitzen und, umzingelt von Liebespärchen, alleine ins Meer zu glotzen, ist nicht optimal. Bei der Wanderwoche samt Kochkurs in Siena sind Sie beschäftigt und, hoffentlich, nicht die Einzige, die solo durch die Gegend stapft.
Irrtum. Bis auf eine durchgeknallte Amerikanerin besteht die Gruppe aus deutschen und österreichischen Ehepaaren. Sie wandern Hand in Hand, beschnuppern selig lächelnd jedes Pflänzchen und japsen vor Begeisterung über das wunderbare Farbenschauspiel der Natur. Als Sie am vierten Nachmittag, halb taub vom amerikanischen Geschnatter, zum Hotel zurückkehren, fährt ein dunkelgrauer Maserati vor. Es entsteigt, man glaubt es kaum, Ihr Retter. Mit einem immensen Blumenstrauß geht er auf Sie zu, nimmt die Sonnenbrille ab, küsst Ihre Hand. Die Sehnsucht hat ihn umgebracht, er nahm sofort nach der Verhandlung das nächste Flugzeug nach Europa.
Drei glückliche Tage später fährt er Sie heim nach Wien, wo er zu Ihrer beider Kummer nicht bleiben kann. Ein Problem mit der Baufirma erfordert seine Anwesenheit in SãoPaulo. Ihr Angebot, ihn zum Flughafen zu begleiten, schlägt er aus. Er ist so schlecht im Abschiednehmen.
Als Sie eine Woche später zum abendlichen Rendezvous im Restaurant eintreffen, erkennen Sie ihn nicht wieder. Wo sind die Leichtigkeit, das Strahlen, der Humor. Hier sitzt ein zutiefst bedrückter Mann. Sein tapferer Versuch, sich nichts anmerken zu lassen, misslingt. Sosehr Sie insistieren, wissen müssen, was ihn quält, so hartnäckig blockt er ab. Dass er Sie mit seinen Problemen verschonen will, akzeptieren Sie nicht, nach allem, was Sie ihm anvertraut haben. Es dauert eine Stunde, bis er mit der Sprache herausrückt. Seine Frau hat ihn bei der Finanzbehörde angezeigt, worauf sämtliche Konten gesperrt wurden. Die unbezahlten Lieferanten streiken, was zu konkursträchtigen Baustopps führt, nicht einmal die Miete für sein Penthouse in São Paulo kann er aufbringen. Bis er die Verleumdung entkräftet hat, können seine Firma und sein Ruf ruiniert sein. Welche Ironie des Schicksals, über Millionen zu verfügen und an läppischen 60 000 Euro zu scheitern.
Ihr Kreditangebot lehnt er so gerührt wie standhaft ab. Erst beim Dessert willigt er ein, den falschen Stolz über Bord zu werfen und sich helfen zu lassen. Ihr Vertrauen wird nicht enttäuscht. Drei Wochen später ist das Finanzverfahren eingestellt, auf Ihrem Konto gehen 60 000 Euro plus Zinsen ein.
Ihre Freundin brennt darauf, den Mann, der Sie endlich wieder glücklich macht, kennenzulernen. Beim Abendessen in Ihrer Wohnung bombardiert die Ärztin ihn mit Fragen zur, wie sie weiß, weltweit renommierten medizinischen Fakultät der Universität von São Paulo. Das stand zu befürchten. Nie kann sie Beruf und Freizeit trennen.Nach einer Reihe von Informationen, gespickt mit amüsanten Anekdoten, wechselt er,
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