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Falsche Nähe

Falsche Nähe

Titel: Falsche Nähe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Kui
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er selbst.
    »Tja, ich muss dann mal«, sagt sie, als sie beginnt, sich zu langweilen. »Hausaufgaben und so.«
    »Alles klar, ich muss dann auch. Am Computer rumdaddeln und so. Grüße an Schwester und Katze, unbekannterweise.«
    Noa lacht. Laura und Tom sind nicht Miriam, aber es ist gut, sie im Haus zu wissen. Bodenständige Leute ohne jede Eitelkeit. Mit Nachbarn haben sie ein glückliches Händchen.
    Ein zäher Nachmittag, der nur träge in den nebelhaften Abend zerfließen mag. Social Networks. Die Langeweile eines Schlüsselkindes. Falsch, sie ist kein Kind mehr. Der freche Wortlaut einer SMS von Daniel macht Noa so wütend, dass sie seine Nummer aus dem Telefon löscht. Auf der Elbe Frachter um Frachter. Das Aida-Schiff legt ab und tutet zum Abschied. Die Luft schmeckt nach Diesel.
    »Fass mich nicht an!«
    Noa zuckt zurück. Audrey ist auf hundertachtzig. Sie hat sich am Nachmittag mit ihrem Lektor getroffen und seither kein Wort gesagt, sondern ist bloß von einem Ende der Wohnung zum anderen getigert wie Pancake, wenn er will, dass ihm jemand die Balkontür öffnet. Thema der Zusammenkunft sollte die neue Romanidee sein. Beim Frühstück war Audrey sich ihrer Sache so sicher: Tobias, der Lektor, und sie seien ein eingespieltes Team. Anscheinend ist dennoch etwas schiefgegangen.
    Noa wollte Anteil nehmen, und ja, sie war es auch leid, ignoriert zu werden, deshalb hat sie ihre umhertigernde Schwester am Ärmel gegriffen, um sie zu stoppen – und sich eine Abfuhr geholt, die wehtat. Sie hasst es, wenn Audrey so ist. So eiskalt. So weit weg. Wenn sie einfach dichtmacht und Noa aussperrt. Es passiert zum Glück selten, daher ist sie jedes Mal überrumpelt, aber es kommt vor. Schweren Herzens findet sie sich damit ab, dass sie keine andere Wahl hat, als abzuwarten, bis Audrey den Bann bricht.
    Denn das wird sie, nur es kann dauern. Zunächst muss sie raus, so ist es immer. Am liebsten wohl raus aus ihrer Haut, weil das unmöglich ist, wird sie alternativ dazu die Stadt verlassen und sich dem Temporausch hingeben, bis ihr Kopf sich leert und sie eins wird mit ihrer Maschine und dem Asphalt. Sie ist ein leidenschaftlicher Motorradfan. Unten in der Tiefgarage wartet eine Suzuki GSX- R1000, genannt Gixxer, darauf, ausgefahren zu werden. Es dauert nicht lange, bis Audrey sich ihrer besinnt.
    »Ich bin weg«, sagt sie mehr zu sich selbst als zu Noa, nachdem sie ihre schmale, hohe Gestalt in die Lederkluft gezwängt hat.
    »Geht klar.«
    Eine glatte Lüge. Audrey ist Noas einzige lebende Verwandte, ihre Familie, natürlich möchte sie nicht, dass sie auf der Autobahn ihr Leben aufs Spiel setzt. Ihr ist bewusst, wie gefährlich Motorradfahren ist, und Audrey betreibt es mit einer Risikofreude, die an Rücksichtslosigkeit grenzt. Das weiß Noa zwar nicht aus eigener Erfahrung, sie hat jedoch schon oft gehört, wie sich ihr Agent darüber aufgeregt hat.
    Noa selbst käme nie auf die Idee, ihre Schwester zur Rede zu stellen. Es würde nichts nützen und wäre unfair, wenn man bedenkt, wie oft Audrey ihretwegen auf irgendetwas verzichtet. In gewisser Weise hat sie ihre Jugend geopfert, um Vater und Mutter zu ersetzen. Deshalb, aus Dankbarkeit und Respekt, sagt Noa lieber nur »geht klar« und verbringt die Nacht in banger Sorge auf der Couch im Wohnzimmer. Das breite Ecksofa, italienisch, heller Stoff, ist bequem genug, um darauf zu schlafen. Wenn sie denn schlafen könnte.
    Stunden vergehen. Der Vollmond steht tief über den Lagerhallen auf der anderen Seite des Flusses, dort, wo weiterhin gearbeitet und nicht nur gewohnt wird, das Wasser in den Hafenbecken reflektiert sein Leuchten. Das Licht ist anders als sonst, fiebriger, vielleicht wegen des Samum. Wüstenlicht. Der sonst so fahle Himmelskörper glüht förmlich und er hat einen riesigen Hof.
    Noa ist froh, dass es nicht regnet. Der Staub wäre wie Schmierseife auf den Straßen.
    Weit nach Mitternacht hört sie erst den Fahrstuhl – leise, wie er ist, nimmt sie eigentlich mehr die Bewegung im Haus wahr –, dann Schritte, den Schlüssel im Schloss.
    »Du bist ja noch wach«, sagt Audrey, als sie Noa im Wohnzimmer vorfindet. Es klingt nicht wirklich überrascht. Sie holt eine angebrochene Flasche Rotwein und zwei Gläser aus der Küche und gießt ihnen ein, bevor sie kurz verschwindet, um sich umzuziehen. Erst danach stoßen sie an. Beide in Schlafanzughosen aus Flanell wie in alten Zeiten.
    »Auf dich, Kleine.«
    »Nee, auf dich.«
    Audrey schaltet den Fernseher

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