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Falsche Nähe

Falsche Nähe

Titel: Falsche Nähe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Kui
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und wegen der Nähe zur Autobahn rund um die Uhr befahren, wähnte sie sich halbwegs in Sicherheit.
    Annemarie S. war zwar alt, aber nicht gebrechlich, das Gehen fiel ihr nicht schwerer als vor zehn Jahren. Lediglich der Hals tat ihr weh, während sie einen Schritt vor den anderen setzte, und das nicht nur beim Schlucken. Als hätte sie eine Vorahnung – die sie natürlich nicht als solche begreifen konnte.
    Wer kommt schon auf so was? Eine Frau, deren schlimmste Horrorvorstellung die Begegnung mit einer Gruppe Jugendlicher in Kapuzenpullovern ist, sicher nicht. Sie zog ihren Schal enger, obwohl sie nicht fror. Die Nacht war mild. Sie dachte an ihren Schwiegersohn, seine besserwisserische Art. Diese Bemerkungen über die Vorzüge eines Altenheims, die nette Gesellschaft, die sie dort hätte. Falls sie mal Hilfe bräuchte, wäre immer jemand vor Ort.
    Sie regte sich so sehr auf, dass sie das Motorrad nicht kommen hörte, obwohl die Maschine in der Beschleunigung aufjaulte. Ihr Puls kletterte auf hundertachtzig, aus Wut, nicht aus Angst, die Schmerzen in ihrem Hals nahmen groteske Ausmaße an, wie bereits erwähnt, ausgehend vom Nacken. Ihr allerletzter Gedanke, nicht ohne Komik: Ich hab so einen Hals – gemeint ist natürlich ihr Schwiegersohn.
    Den ist sie jetzt los. Und er sie.
    Der Passant, der Annemarie S. kurz nach der Tat fand, machte vor der Polizei eine grausige Aussage, die er später zurückzog: Als er mit Hilfe der Taschenlampenfunktion seines Handys in ihr Gesicht geleuchtet habe, hätten sich ihre Augen geschlossen, als ob sie zu diesem Zeitpunkt noch gelebt hätte. Was nicht vorstellbar ist, denn ihr Kopf befand sich mindestens drei Meter entfernt vom Rest des Körpers.
    Glaubst du nicht? Aus alten Tagen existieren Berichte über Enthauptungen, nach denen die Köpfe von Verbrechern noch dreißig Sekunden nach der Hinrichtung durch das Fallbeil auf Zurufe der Zuschauer reagiert haben.
    Nicht zu vergessen Klaus Störtebeker. Laut Überlieferung soll der kopflose Pirat noch an elf Matrosen seiner versammelten Mannschaft vorbeimarschiert sein, womit er ihnen das Leben retten wollte, denn so hatte er es vorher mit seinen Richtern ausgehandelt. Er hätte es noch weiter geschafft, aber irgendjemand stellte ihm ein Bein. Es spielte ohnehin keine Rolle, da der Bürgermeister sich nicht an die Absprache hielt. Auch Störtebeker wurde mit einem Schwert enthauptet. Das nur nebenbei.
    In der Hamburger Hafencity gibt es ein Denkmal, das sich mit dieser Sage befasst. Ein Zeichen, dass an der Sache etwas dran ist, oder? Sonst stünde es doch nie und nimmer dort. Wenn du dich traust, schau es dir mal an.

Die apokalyptischen Reiter ;-)
    A ls Noa aus der Schule kommt, weht eine frische Brise
    durch das Wohnzimmer und vier Glaser sind damit beschäftigt, das beschädigte Panoramafenster durch ein neues zu ersetzen. Es ist sperrig und schwer, sie ächzen unter seiner Last. Ihre helle Arbeitskleidung erinnert an Tatortreiniger, was ja in gewisser Weise zutrifft. Das alte Fenster lehnt an der Wand. Noa unterdrückt das Bedürfnis, den Riss zu berühren. Der Anblick reicht schon, um ein komisches Gefühl in ihrem Magen hervorzurufen. Morgens hat sie den Raum gemieden, um nicht mit den Ungeheuerlichkeiten der Nacht konfrontiert zu werden, weshalb es ihr in der Schule beinahe gelungen ist, sich einzureden, sie hätte alles nur geträumt. Die Anwesenheit der Handwerker bringt sie auf den Boden der Tatsachen zurück.
    Sie grüßt und eilt in ihr Zimmer, wo sie nicht lange ungestört bleibt, da Audrey an der Tür klopft und eintritt, ohne auf Aufforderung zu warten.
    »Da bist du ja schon«, sagt sie.
    »Dienstags immer um halb drei.«
    »Bist du sauer?«
    »Sollte ich?«
    »Ich wüsste nicht warum.«
    »Wenn du das nicht weißt.«
    Zickenkrieg. Das Letzte, was Noa jetzt braucht. Sie mag sich nicht besonders, wenn sie in diesen Jargon verfällt, kiebig wie ihre eigene Großmutter, aber manchmal passiert es einfach, weil sie erschöpft ist. Zu feige, um Audrey richtig zur Rede zu stellen, sehnt sie sich nach einem Mittagsschläfchen, dem weichen Fell ihres Katers und einer ausgedehnten Runde Selbstmitleid, denn sie hat die letzte Nacht noch nicht mal ansatzweise verdaut. Audreys Miene lässt auf ein schlechtes Gewissen schließen, doch wie üblich ist sie außerstande, sich selbst – oder gar ihrer Schwester – dies einzugestehen.
    »Ich habe uns Lunch besorgt«, sagt sie stattdessen. »Sushi, das steht bei dir doch zurzeit hoch

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