Falsche Nähe
ein, zappt durch die Programme, bis sie die Verkaufskanäle, erreicht, schaltet aus.
»Tobias hat meine Idee abgelehnt«, sagt sie. »Dieser Arsch.«
Damit hatte Noa gerechnet. »Das ist doch schon mal vorgekommen, oder?«
»Nein. Nicht so. So komplett. Sonst hat er vielleicht dies und das daran auszusetzen und wir klären das gemeinsam. Diesmal will er das ganze Buch nicht.« Audrey trinkt einen großen Schluck Wein. Um zu unterstreichen, wie ernst die Sache in ihren Augen ist, fügt sie hinzu: »Das werde ich ihm nie verzeihen.«
Noa nippt nur. Sie findet Audreys Reaktion zwar übertrieben, ist aber bedacht genug, sich zu diesem Zeitpunkt jeden Kommentar zu verkneifen.
»Ich könnte zu einem anderen Verlag gehen. Da hätte ich freie Auswahl, garantiere ich dir. Die würden mich überall mit Kusshand nehmen, egal ob ich denen ein Kochbuch anbiete oder eine Schnulze oder einen Hardcore-Thriller. Einfach weil ich ich bin, verstehst du?«
Mit einem Nicken stellt Noa ihr Glas ab. Sie weiß, dass Audrey nicht ernsthaft über einen Verlagswechsel nachdenkt. Tobias Kern war derjenige, der ihr eine Chance gegeben hat, als sie noch völlig unerfahren war und bereits zahlreiche Absagen kassiert hatte, er hat ihrem Debüt auf seine einfühlsame Art den letzten Schliff verpasst, damit es sich am Markt durchsetzen konnte. Audreys Erfolg ist auch seiner. Mit Sicherheit wird sie ihn und den Verlag nicht gleich wegen der ersten größeren Meinungsverschiedenheit fallen lassen.
»Was hatte Tobias denn gegen deine Idee?«, fragt sie. »Magst du erzählen, worum es überhaupt gehen soll?«
»Eigentlich nicht.«
Sie sprechen nur wenig über die Inhalte ihrer Thriller. Audrey weiß, dass Noa ganz andere Bücher verschlingt, und das respektiert sie. In Noas Lieblingsbüchern geht es um die große Liebe oder um mysteriöse Welten, die bedroht werden und von den Mächten des Guten gerettet werden müssen. Die Welt in Audreys Büchern – genannt Realität – ist nicht mehr zu retten. Ihre Heldin Eva Lindberg weiß das und kämpft sich auf verlorenem Posten tapfer durch den Sumpf des Verbrechens.
Audrey versucht eine Erklärung: »Tobias’ Ablehnung hängt natürlich mit der Serie zusammen. Klar will der Verlag am liebsten einen neuen Fall mit Eva Lindberg, da steht das Marketing, da können die auf eine treue Fangemeinde zurückgreifen, die ständig wächst, erst recht seit der Verfilmung. Das andere Projekt wäre ein Experiment.«
»Und darauf bist du aus?«, fragt Noa, für die die Argumente des Verlags ziemlich plausibel klingen. Aber sie ist ja auch keine Künstlerin.
»Das ist nicht der Punkt«, sagt Audrey. »Ich will mich entwickeln. Eva Lindberg ist toll. Aber jetzt steht für mich eben ein anderes Projekt im Mittelpunkt. Und ich werde dieses Buch schreiben. Versprochen. Mein Agent wird schon erreichen, dass es veröffentlicht wird. Muss er eben mal ein bisschen was tun für sein Geld.«
»Okay.«
Schweigen. Noa beobachtet, wie Audrey ihren Wein austrinkt und sich mit Schwung nachschenkt. Der restliche Flascheninhalt ergießt sich vollständig ins Glas, bringt es beinahe zum Überlaufen, worauf Audrey nur vorsichtig daran nippen kann. Einige Tropfen landen auf dem Parkett, von Audrey unbemerkt oder bewusst ignoriert, sie trinkt weiter, immer gieriger, bis nichts mehr da ist. Danach sitzt sie ein ganze Weile vornübergebeugt da, Ellenbogen auf den Knien, die Hände am Hinterkopf verschränkt, und starrt auf den Fußboden.
»Noa?«
»Ja?«
»Du kapierst es nicht, oder?«
»Ich verstehe, wie wichtig dir die Sache ist.«
»Aber nicht warum. Du bist genau wie Tobias.«
Noa kann nicht glauben, dass ihre Schwester so mit ihr spricht. Dass sich ihr Zorn nun auch gegen sie richtet, obwohl sie – im Gegensatz zu Tobias – keinen Schimmer hat, worum es in diesem weltbewegenden Buch überhaupt gehen soll. Als sie Audrey erneut danach fragt, bekommt sie wieder nur Ausflüchte und Allgemeinplätze zu hören.
»Ich weiß schon, was ich tue«, sagt ihre Schwester, nur um gleich darauf das Gegenteil zu beweisen, indem sie die leere Weinflasche ergreift, weit ausholt und sie in einer blitzschnellen Bewegung durch die Luft schleudert, als wollte sie sie direkt in die Elbe werfen. Was nicht funktionieren kann, weil das Panoramafenster im Weg ist. Ein Knall wie ein Schuss, und es zeigt sich ein hässlicher Riss im Glas, zackenförmig wie ein eingefrorener Blitz, die Flasche landet auf dem Parkett, wo sie zu Bruch geht.
»Bist
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