Falsche Nähe
wäre doch möglich, oder? Seit wann seid ihr denn zusammen?«
»Seit wir auf Sande waren.«
»Wie bitte? Moritz war mit dir auf Sande?«, fragt Audrey mit einem Schnauben.
»Das wusstest du doch! Du hast ihm doch extra deinen Wagen geliehen.«
Audrey hebt die Stimme um mindestens eine halbe Oktave. »Bitte, was habe ich? Mein Auto? Das ist nicht dein Ernst. Sag, dass das nicht wahr ist! Sag, dass ihr nicht die ganze Zeit mit dem BMW unterwegs wart.«
Aber Noa sagt überhaupt nichts mehr, sie rennt in ihr Zimmer, hört wie die Wohnungstür mit einem Knall ins Schloss fällt – Audrey, die nach dem Wagen sehen will. Dabei hat sie die Abwesenheit ihres heiß geliebten Statussymbols nicht mal bemerkt. Noa verharrt vor dem Spiegel, beide Hände so fest zu Fäusten geballt, dass die Knöchel weiß hervortreten. Sie starrt ihr Spiegelbild an. Wieso bloß glaubt sie alles, was man ihr erzählt? Und wo genau auf ihrer Stirn stehen eigentlich die Worte »Lüg mich an« geschrieben – eine Botschaft, die offenbar jeder außer ihr deutlich entziffern kann und ohne jeden Skrupel befolgt.
Der Wortlaut ihrer Nachricht an Moritz ist eindeutig:
Scheißkerl!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
Sekunden später ruft er an. Noa will erst nicht rangehen, das Handy einfach abschalten, doch ihre Gefühle fahren Achterbahn, schon sein Name auf dem Display macht sie wehrlos, und sie will einfach nur seine Stimme hören, jeglichem Ärger zum Trotz.
»Du hast mit Audrey gesprochen«, stellt er fest, bevor sie irgendetwas sagen kann. »Sie ist stinksauer wegen des Wagens, du bist stinksauer, weil ich dich angeschwindelt habe.«
»Worum ging es dir eigentlich: nur um die Spritztour oder darum, mich rumzukriegen?«, fragt Noa, wartet aber die Antwort nicht ab. »Was ist mit der ganzen Kohle, die du dabei hattest? Die war ja dann wohl kein Geschenk meiner Schwester.«
»Eine Leihgabe meines Vaters«, gesteht er geknickt.
»Ach, und wusste Arne, dass er dir Geld leiht?«
Moritz’ Schweigen macht eine Antwort überflüssig. Er ist ein halber Krimineller.
»Von wegen Audrey hat sich Sorgen um mich gemacht«, murmelt Noa.
»Hat sie doch. Das hat sie dir auch selbst geschrieben, so viel ich weiß.«
»Du bist ja gut informiert.«
»Klar bin ich das.«
»Kleiner Schnüffler, oder wie?«
»Das fragt die Richtige.«
»Du warst nicht zufällig auch an meiner Wäscheschublade?«
»Also echt, Noa, jetzt hör aber auf.«
»Warst du?«
»Nein, war ich nicht. Ich will mit dir zusammen sein. Nicht mit deinen Schlüpfern. Sag mir lieber, ob du dich mit Audrey versöhnt hast.«
»Nein. Wir können einfach nicht mehr vernünftig miteinander reden.«
»Weil ihr beide solche Dickköpfe seid. Irgendwann schlagt ihr euch noch gegenseitig die Köpfe ein!«
»Wie meinst du das?«
»Das war ein Witz.«
»Voll daneben.«
Noa legt auf.
Abends kommt Arne heim, geschafft von der Arbeit. Er habe eine Baustelle besucht und auf der Autobahn habe irgend so ein Irrer versucht, ihn abzudrängen, berichtet er, während er die Töpfe auf dem Herd inspiziert. Audrey ist damit beschäftigt, ein Chili zuzubereiten, und geht nicht darauf ein.
Als Arne Noa erblickt, umarmt er sie spontan, tätschelt ihr den Rücken, freudig erregt über ihre Rückkehr, als wäre sie eine Ewigkeit fort gewesen. Seine Prognose: Jetzt würde alles gut werden. Noa kann nicht sagen, warum sie die Zärtlichkeiten über sich ergehen lässt. Sie tut es einfach. Auch wenn es ihr nicht in den Kram passt: Er ist jetzt mehr als Audreys Freund. Er ist der Vater des Jungen, den sie liebt. Auf einmal findet sie ihn nicht mehr ganz so abstoßend. Vielleicht sehnt sie sich auch nur nach ein wenig Harmonie. Denn die bleibt in letzter Zeit völlig auf der Strecke.
Streit. Neuerdings bestimmt er Noas Leben, die Konfliktlinien verlaufen kreuz und quer durch ihren Alltag, jeder kämpft für sich. Noa gegen Audrey, gegen Arne, gegen Moritz. Audrey gegen sie, gegen Frank und Tobias. Sogar das Verhältnis zu den Nachbarn ist abgekühlt, seit Audrey ihnen die Wohnung abjagen wollte.
Streit als Gefahr. Wie der Ausbruch einer Seuche: hochansteckend, verzehrend, zerstörerisch. Wann hat das angefangen? Wie kann man es stoppen? Wie lange dauert es, bis etwas unwiderruflich zu Bruch geht, weil Dinge gesagt werden, die man nie mehr zurücknehmen kann? Ist das die Grundlage für blinden Hass?
Die offenen Fragen verfolgen Noa bis in den Tiefschlaf, dann wird sie wach, weil Audrey und Arne sich anschreien. Sie kann
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