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Falsche Nähe

Falsche Nähe

Titel: Falsche Nähe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Kui
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keine Ahnung, was es bedeutet, wenn so eine Tragödie an dir klebt. Das lässt dich nie mehr los. Für niemanden bist du mehr du selbst, sondern bloß noch das arme Waisenkind, dessen Eltern zerstückelt worden sind. Keiner sieht dich mehr normal an. Alle sind besessen vor Mitleid, ihr Mitleid klebt an dir wie Zuckerwatte an den Händen, unerträglich süß. Gleichzeitig haben alle Angst vor dir: Dein Unglück könnte ja auf geheimnisvolle Art und Weise ansteckend sein, weshalb sie mehr und mehr Abstand zu dir halten, dich nach einer Weile lieber nur noch aus der Ferne bedauern, was ihnen auf Dauer natürlich ein schlechtes Gewissen beschert. Und weil niemand ein schlechtes Gewissen lange erträgt, drehen sie irgendwann den Spieß um und fangen an, dich zu hassen. Einfach, weil du störst, weil du der lebendige Beweis dafür bist, dass ihre heile Welt bloß eine gottverdammte Illusion ist. Das alles musste ich jahrelang durchstehen, Noa, das war kein Spaß. Ich wollte, dass es dir erspart bleibt. Und anstatt mir dankbar zu sein, drückst du auf die Tränendrüse. Wenn du dir das dämliche Bild einrahmen willst, tu es. Aber lass mich damit in Ruhe.« Audrey schlägt die Hände vor das Gesicht und beginnt zu weinen.
    Noa steht da, kann und will nichts dagegen tun und denkt gegen jede Vernunft, dass sie – auch schon als Dreijährige – in der Lage gewesen wäre, die Bürde des Verbrechens und sämtliche Folgeerscheinungen mit ihr gemeinsam zu schultern, hätte die Schwester sie rechtzeitig eingeweiht. Nun, da sie gezwungen war, sich ihre Mitwisserschaft zusammenzustehlen, steht all das zwischen ihnen wie eine Mauer. In gewisser Weise will sie Audrey weinen sehen, braucht ihre Tränen, weil sie selbst in letzter Zeit so viele vergossen hat.
    »Wenn du mich schützen wolltest, warum musstest du dann anfangen, dieses grässliche Buch zu schreiben? Damit ist doch alles erst ins Rollen gekommen.«
    »Ich habe gedacht, wenn ich meine eigene Geschichte in einen Roman einfließen lasse, würde sie mich nicht mehr so sehr beherrschen«, bringt Audrey hervor. »Aber das war eine Scheißidee. Es hat nicht funktioniert. Tobias wusste das. Deswegen wollte er es nicht machen.«
    Noa fühlt Eifersucht in sich aufsteigen, ein absolut destruktives Gefühl, das ist ihr klar, aber leider kann sie nichts dagegen tun. »Du hast Tobias von deiner Vergangenheit erzählt – und mir nicht?«
    Audrey nickt ergeben.
    »Und Arne.«
    Erneutes Nicken.
    »Kann es sein, dass es ziemlich viele Leute gibt, denen du mehr vertraust als mir?« Die Vorstellung, dass Audrey unentwegt unter der Vergangenheit gelitten hat, ohne sie einzuweihen, schmerzt Noa sehr.
    »Das hat doch nichts mit Vertrauen zu tun. Du warst ein kleines Kind.«
    »Ich bin aber schon ziemlich lange kein kleines Kind mehr. Du hättest tausend Gelegenheiten gehabt, dich mir anzuvertrauen. Ich wäre gern für dich dagewesen.«
    »Sei es doch jetzt.«
    »Was?«
    Audrey wendet Noa ihr tränenüberströmtes Gesicht zu. »Sei doch einfach jetzt für mich da. Hier stehe ich und bin mit den Nerven am Ende. Ich könnte ein bisschen Trost gebrauchen.«
    Noa ist zerrissen zwischen Liebe und Wut. Sie stehen im Wohnzimmer, genau an der Stelle, wo das alte Fenster von der Weinflasche getroffen wurde. Der Schaden und seine scheinbare Beseitigung Symbol einer Zäsur. Nichts kann sie für den Verlust entschädigen. Wenn sie an die Jahre des Verschweigens und der Täuschungen denkt, wird ihr schlecht, denn in der Rückschau kommt ihr jetzt ihr gemeinsames Leben wie eine einzige Lüge vor. Audrey und sie haben einander nur scheinbar unendlich nahe gestanden – auf eine völlig falsche Art.
    Unmöglich, ihre Differenzen an dieser Stelle ruhen zu lassen. »Spätestens als du das Bedürfnis hattest, dieses Buch zu schreiben, hättest du doch zu mir kommen können«, beharrt Noa.
    Audrey zieht die Nase hoch. »Jetzt hör’ doch mal mit diesem Buch auf. Wen interessiert das denn jetzt noch? Ich schreibe doch überhaupt nicht mehr daran. Es war eine blöde Idee und fertig.«
    »Aber alles, was momentan passiert, hängt irgendwie damit zusammen, kapierst du das nicht?«
    »Nein, Noa. Das kapiere ich nicht«, sagt Audrey mit einem Kopfschütteln. Erkläre es mir bitte.«
    »Der Mord, Moritz’ Schwert, dass dieser Irre auf Sande mich beinahe umgebracht hätte und jetzt der Vogel ohne Kopf. Das alles muss einfach irgendwie zusammenhängen. Ich weiß bloß noch nicht wie.«
    Audrey starrt sie mit weit

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