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Falsche Nähe

Falsche Nähe

Titel: Falsche Nähe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Kui
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hinzugeben, in denen sie steckt. Eine deprimierende Vorstellung. Noa schmeißt sich aufs Bett. Vermutlich wegen des Kadavers hat Audrey das Bettzeug entfernt – leider ohne neues aufzuziehen. Sie inspiziert ihr Kopfkissen: nichts zu sehen, keine Blutspur, kein Schmutz. Dennoch landet es in der Ecke, reflexartig pfeffert Noa es quer durch den Raum, als hätte sie sich daran verbrannt, die Nase vor Ekel gerümpft.
    Noa kneift die Augen zusammen. Am liebsten würde sie einschlafen, doch wegen der ganzen Aufregung ist sie trotz ihrer Abgespanntheit hellwach und hievt sich hoch. Sie braucht Bettzeug und ein neues Kissen. In der Abstellkammer gibt es eine komplette Garnitur für Gäste.
    Beim Beziehen des Bettes kommt Noa sich zum ersten Mal an diesem Tag nützlich vor. Die körperliche Anstrengung tut ihr gut. Wie immer seit sie die alte Latex- durch eine neue, extradicke Kaltschaummatratze ersetzt hat, muss sie sich mit dem Spannbettlaken abmühen, bis ihr der Schweiß ausbricht. Sie ist fast fertig, als Audrey durch die Zimmertür schlüpft, sich räuspert und erklärt, sie habe gerade einen Anruf von der Polizei in Sande erhalten.
    »Sag’ nicht die haben den Typen erwischt?«, fragt Noa. Das wäre wenigstens mal eine gute Nachricht.
    Audrey verneint. »Tut mir leid. Sie wollten mich als deine Erziehungsberechtigte lediglich darüber informieren, was passiert ist und dass du Anzeige gegen Unbekannt erstattet hast.«
    Noa versucht, sich ihre Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. »So ein Quatsch, dich damit zu behelligen«, sagt sie. »Als wäre ich nicht in ein paar Monaten achtzehn. Dann bin ich sowieso hier weg.«
    »Ach, bist du das?« Audrey verschränkt die Arme vor der Brust. »Davon wusste ich ja noch gar nichts.«
    »Dann weißt du es jetzt.« Noa klopft das Kissen auf. Die Anwesenheit ihrer Schwester strengt sie an.
    »Was war da los auf Sande?«
    »Ich dachte, die Polizei hat dir alles erzählt.«
    »Ich würde es aber gern von dir erfahren.«
    Noa lacht bitter. »Weißt du, das Gefühl kenne ich. Da gibt es Einiges, was ich lieber von dir erfahren hätte, als von meiner alten Grundschullehrerin Frau Matern oder einem wildfremden Buchhändler.«
    Audrey ignoriert den Vorwurf. »Und du hast diesen Mann nicht erkannt, der dich auf der Party attackiert hat?«
    Noa holt ihren Rechner aus dem Rucksack und fährt ihn hoch.
    »Noa? Ich rede mit dir. Hast du eine Vorstellung, wer das gewesen sein könnte?«
    »Warum, glaubst du, habe ich wohl Anzeige gegen Unbekannt erstattet?«
    Audrey dreht sich auf dem Absatz um und will den Raum verlassen, doch Noa ruft sie zurück. Inzwischen hat sie sich eingeloggt und ihre Mails gecheckt. Sören Westerburg hat Wort gehalten und ihr die Fotos zukommen lassen. Noa holt die Aufnahme vom Straßenfest auf den Bildschirm, auf der sie selbst als Baby zu sehen ist, und nötigt Audrey, sie mit ihr gemeinsam zu betrachten.
    »Das bin ich mit Mama«, erklärt sie überflüssigerweise. »Ich werde mir einen Abzug bestellen, dann kommt es in einem Rahmen auf meinen Schreibtisch. Besser als nichts, finde ich. Mein Gesprächspartner hatte leider kein Bild, auf dem wir alle vier drauf sind.«
    »Das ist mir egal«, sagt Audrey.
    »Wirklich?«
    »Ich stehe nicht auf Rührseligkeiten, das weißt du doch. Und ich brauche kein Foto von unseren Eltern, um mich an sie zu erinnern. Ich erinnere mich ständig an sie. Und zwar mehr, als mir lieb ist.«
    Noa betrachtet das Eingeständnis als winzigen Schritt in die richtige Richtung. Versöhnt ist sie deshalb noch lange nicht. »Aber ich hätte eins gebraucht. Was heißt eins. Am liebsten alle, die es von unserer Familie jemals gegeben hat. Wo sind sie abgeblieben, Audrey? Wo?«
    Audrey ergreift die Flucht, aber Noa heftet sich an ihre Fersen. »Lauf doch nicht immerzu weg. Wo sind unsere Sachen? Es gab überhaupt kein Feuer. Das hat mir der Buchhändler auf Sande erzählt. Sören Westerburg, falls du ihn noch kennst.«
    »Doch, es gab eins. Ich habe es selbst gelegt. Unsere Familienalben sind verbrannt, dafür habe ich gesorgt. Aber das Haus nicht. Es wurde gelöscht.«
    »Du hast Feuer gelegt? Warum das denn?«
    Audrey schweigt, die Lippen fest aufeinandergepresst.
    Noa schreit sie an: »Warum hast du das gemacht? Warum machst du immer so verrückte Sachen?«
    »Weil ich sie vergessen wollte, das habe ich doch gerade versucht, dir klarzumachen. Und ich wollte auch, dass du sie vergisst. Dass du einfach alles vergisst, was vorher war. Du hast ja

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