Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Falsche Opfer: Kriminalroman

Falsche Opfer: Kriminalroman

Titel: Falsche Opfer: Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arne Dahl
Vom Netzwerk:
Farbe von der Jahrhundertwende. Hier war so manches Bierchen oben rein und unten raus geflossen.
    Ludvig Johnsson lehnte an der Veranda und machte Stretchübungen. Er sah mit einem zutiefst verwunderten, beinah erschrockenen Blick auf. Offensichtlich war er nicht daran gewöhnt, Besuch zu bekommen.
    Als Nyberg ihm zuwinkte, hellte sich sein Gesicht auf, er kam im Laufschritt an den Renault und sah durch das heruntergekurbelte Backofenfenster.
    Er prallte zurück. »Jesses«, entfuhr es ihm. »Da hast du lange gesessen.«
    »Es ist reichlich heiß«, sagte Gunnar Nyberg und wand sich aus dem viel zu engen Wagen. Dann streckte er sich und zeigte auf das Haus. »Es steht also noch«, stellte er fest.
    Ludvig Johnsson nickte, ging zurück zur Veranda und fuhr mit seinen Stretchübungen fort. »Ja, es steht noch«, sagte er. »Kein Strom, kein fließendes Wasser, kein Telefon. Ich ziehe mich hierher zurück, wenn ich der Welt den Rücken kehren will. Und das ist immer öfter der Fall.«
    Nyberg nickte. »Ich verstehe, was du meinst«, sagte er. »Ich selbst fahre zu meinem Sohn und meinem Enkel nach Östhammar. Dieses Jahr hat es noch nicht so oft geklappt.«
    Johnsson hörte auf zu stretchen und betrachtete ihn. »Für mich ist das nicht aktuell«, sagte er nur.
    Nyberg biss sich auf die Zunge. Viel zu spät. »Verzeihung«, sagte er.
    Ludvig Johnsson trat zu ihm und legte den Arm um ihn. Es entwickelte sich zu einer Umarmung. Sie standen in der Sonnenhitze vor einer einsamen Waldkate an einem Ort namens Grillby in Uppland und umarmten sich. Die Macht der Vergangenheit.
    »Ist schon in Ordnung«, sagte Ludvig Johnsson schließlich. »Lange nicht gesehen.«
    Sie setzten sich auf der Veranda in den Schatten. Johnsson holte zwei Bier. Die leerten sich ziemlich schnell. Zwei neue kamen zum Vorschein.
    »Gaskühlschrank«, sagte Johnsson.
    »Jetzt reicht es«, sagte Nyberg. »Ich muss noch zurückfahren. Wir haben einen Durchbruch in der Ermittlung erzielt.«
    »Von Pädophilen zu Nazis«, nickte Johnsson. »Ist es etwas, was du erzählen willst?«
    »Ich glaube schon. Später. Ist es immer noch das Häuschen deiner Tante?«
    Ludvig Johnsson lachte laut und kratzte sich die symmetrische Glatze. »Sie war schon damals senildement, als wir hier unser Examen gefeiert haben. Sie ist immer noch senildement. Liegt im selben Heim und sieht aus wie damals, obwohl sie fast hundert ist. Als ob die Demenz sie konservierte.«
    Er schnitt eine kleine Grimasse und fuhr fort. »Dann, als ich Familie bekam, vergaß ich es beinah. Hanna und ich sind viel gereist. Und es ging weiter, als die Jungen kamen. Sie waren neun und sieben, als sie starben, und waren in vierzehn Ländern gewesen. Sie gaben damit an in der Schule. Vierzehn Länder. Und eines Tages waren sie einfach weg. Alle drei. Hanna, Micke, Stefan. Peng – weg. Ich weiß nicht, ob das zu verstehen ist.«
    Es war vollkommen still. Gunnar Nyberg meinte, die Sonne scheinen zu hören. Ein feines, leichtes Surren im Hintergrund. Er wusste nichts zu sagen. Es gab nichts zu sagen. Ihm selbst war es gelungen, die Beschädigungen aus der Vergangenheit zu reparieren. Ludvig Johnsson hatte nicht einmal die Chance gehabt. Die fürchterliche Unwiderrufbarkeit des Todes.
    »Jaja«, sagte Johnsson nach einer Weile. »Dann fiel mir wieder ein, dass das Häuschen noch da war. Hier kann ich ganz für mich sein. Ich brauche das. Vor der Begegnung mit der Pädophilenwelt die Batterien aufzuladen. Niemand weiß, dass es dieses Haus gibt. Bis jetzt.«
    »Ich werde den Mund halten«, sagte Gunnar Nyberg und spürte, dass er einen Fehler gemacht hatte. Er war auf heiligen Boden getrampelt. Er hatte eine Sphäre bevölkert, die nicht bevölkert werden durfte. Ohne nachzudenken hatte er die Tür zu einer Intimsphäre aufgebrochen, so dass sie in Fetzen in den Angeln hing. Er fühlte sich wie ein Schurke.
    Ludvig Johnsson beugte sich über den Tisch vor, legte seine Hand auf Gunnar Nybergs Hand und sah ihm mit glasklarem, forschendem Blick in die Augen. »Es ist in Ordnung, Gunnar«, sagte er ruhig. »Vielleicht ist es genau das, was ich brauche. Ich halte es nicht länger aus, Eremit zu sein.«
    Sie sahen sich an. Auf gewisse Weise wohnten sie immer noch in jener gemeinsamen Wohnung vor zwanzig Jahren. Keiner von beiden hatte sie ganz verlassen. Wie man niemals einen Ort verlässt. Alles bleibt immer da. Und es waren wichtige Jahre ihres Lebens. Der weltgewandte Ludvig und der tumbe Gunnar. Hier waren sie

Weitere Kostenlose Bücher