Falsche Opfer: Kriminalroman
wieder.
Dann machte sich Gunnar Nyberg eines Dienstvergehens schuldig. Er erzählte von dem Fall. Er bedurfte dringender denn je eines Gesprächspartners, und der wiederum bedurfte ebenso dringend genau dessen, Gesprächspartner zu sein, das sah man deutlich. Einen kurzen Augenblick lang hatte Gunnar Nyberg das Gefühl, dass sie gemeinsam den Fall lösen würden. Wie sie es auf der Polizeihochschule getan hatten.
Er begann mit dem Durchbruch, dem Leck bei Rajko Nedic, Risto Petrovic, er fuhr fort, indem er ganz am Anfang begann, bei den Ereignissen im Restaurant Kvarnen und im Kumlabunker bis zu exjugoslawischen Söldnern und Niklas Lindberg und der Fremdenlegion und potentiellen rechtsextremistischen Dachorganisationen, und dann war er fertig. Es war eine lange und komplizierte Erzählung. Und noch ohne Ende.
»Mannomann«, sagte Ludvig Johnsson.
Das war alles.
Als Gunnar Nyberg Grillby verließ, kam es ihm vor, als sei eine Last von seinen Schultern genommen worden. Eine alte Freundschaft war wiederbelebt worden, ganz ernsthaft, und er spürte, dass er für den Rest seines Lebens einen Gesprächspartner hatte. Ein gutes Gefühl. Als habe sich ein weiteres abhanden gekommenes Puzzlestück aus der Vergangenheit wieder eingefunden und liege jetzt an seinem Platz.
Er nahm die E 18 und kehrte nach Stockholm zurück.
35
J a! Ja! Ja!« grölte ›Kulan‹. »Hier haben wir ihn wieder.«
Es war das zweite Mal an diesem Tag. Beim ersten Mal war er nur vorbeigehuscht. Ein kurzes Signal, das möglicherweise, wenngleich nicht wahrscheinlich, ein falscher Alarm war. Diesmal jedoch war es unzweideutig. ›Kulan‹ war über die Maßen zufrieden. Sogar er hatte aufgehört, daran zu glauben. Niklas Lindberg sah es ihm an. Der untersetzte, breite Körper erbebte gleichsam vor nicht mehr erhoffter Erwartung. Wie ein Souffle, dachte er zu seiner eigenen Überraschung.
Er blickte hinab zu seinem Elternhaus. Wie still es dort unten im Tal lag. Dieses niedliche Reihenhausgebiet, in dem er entstanden war. Von Fremden ungestört. Eine gesunde, reine, anständige Jugend in Frieden und Freuden. Trollhättan – so gediegen schwedisch. Und jetzt: zwielichtige Pizzerien an jeder Ecke, Mafiosospielhöllen, südländisch unehrliche Drückebergermentalität. Eine Welt von Vergewaltigern, Drogendealern, Messerstechern, Sozialhilfeschummlern, von arabisch-jüdisch-katholischer Korruption und machoverkleideter Feigheit. Er wusste auf jeden Fall, wogegen er kämpfte. Um das Wofür war es ein bisschen schlechter gestellt.
»Jetzt ist er wieder weg«, sagte ›Kulan‹ gedämpft und drehte an seinen Rädchen.
»Hast du eine Richtung bekommen?« fragte Niklas Lindberg.
»Ja«, sagte ›Kulan‹. »Nach Osten. Entweder die 44 oder die 42.«
»Was liegt da? Rogge?«
Roger Sjöqvist blätterte im Straßenatlas. »Schwer zu sehen. Es ist genau zwischen den Seiten. Die 44 teilt sich. Sie geht als 44 hinauf zum Vänern, Lidköping. Als 47 geht sie nach Falköping. Aber die 47 stößt auf die E 20, die nach Skara und Skovde führt. Was hast du noch gesagt? Die 42? Die geht nirgendwohin. Värgarda. Fristad.«
»Wir brauchen noch eine zweite Indikation«, sagte ›Kulan‹.
Niklas Lindberg überlegte. »Nimm die 44«, sagte er. »Und gib ein bisschen Gas.«
»Und die Geschwindigkeitsbegrenzung?«
»Scheiß drauf. Wir sind jetzt dicht dran.«
»Was glaubst du, Nicke?« sagte ›Kulan‹.
»Ich glaube, dass wir eine zweite Indikation bekommen«, sagte Niklas Lindberg. »Und dann wissen wir Bescheid.«
36
K ommissar Jan-Olov Hultin war ganz und gar nicht begeistert davon, dass Jorge Chavez an seinem Pult saß und die Beine baumeln ließ. Alles andere als begeistert. Obwohl er nicht richtig verstand, warum.
Vermutlich, weil er nicht gesehen wurde.
Es war Freitag, der neunte Juli, und die Zeit raste. Es gab keine richtig heiße Spur. Zwar waren massenhaft neue Fakten hereingekommen, doch nichts wirklich Heißes, richtig Akutes.
Woher dann dieser plötzliche Optimismus?
Die letzten Sitzungen in der Kampfleitzentrale waren eher von einer etwas trostlosen Resignation beherrscht gewesen. So viel Information, und so wenig Handlungsspielraum. Nedic hielt sich bedeckt, und die landesweite Fahndung nach Niklas Lindberg und seinen Männern rückte immer näher. Wenn sie die Identitäten der Männer bekanntgäben, würde die Boulevardpresse die Sicklaschlacht auf das gröbste auswalzen, Lindberg würde als der Antichrist dargestellt und seine
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