Falsche Opfer: Kriminalroman
merkwürdigerweise wirklich Fetzen in den Angeln hing. Robban dachte: Wie zum Teufel kriegt er es hin, die Tür in Fetzen zu schlagen? Doch das sagte er nicht.
Er sagte, mit zitternder Stimme: »Ich weiß nicht, wovon du redest.«
»Denk noch mal nach«, sagte Gunnar Nyberg.
»Aber verdammt«, begann Robban, dem Schluchzen nahe. »Du weißt genauso gut wie ich, dass es ein idiotensicheres System ist. Man kennt niemanden. Es kommt eine Lieferung. Man holt die Lieferung ab. Man liefert Geld. Sie sehen zufrieden aus. Wenn sie nicht zufrieden aussehen, ist man tot.«
Nyberg schob sich noch ein Stück näher heran. Sein Grizzlygesicht befand sich nur ein paar Zentimeter von Robbans eher kaninchenartigem. Der Atem des Grizzlys roch nicht nach rohem Fleisch und frischem Blut – er roch nach Stehcafeimbiss.
»Jugoslawen?« fauchte das kaffeestinkende Raubtier.
»Könnten sie sein«, hechelte Robban. »Aber ich weiß es nicht. Sie sehen südländisch aus, das schon. Üble Typen. Reden miteinander immer ihr Rotwelsch.«
»Was meinst du damit?«
Und plötzlich ein Anfall von Kamikaze-Mut: »Scheiß dir doch in die Hose, Stinkbombe.«
Als Folge dessen drückte jetzt der Grizzlybär auf einen Punkt im Nacken des Kaninchens. Das Kaninchen erbebte heftig – ein zitterndes Stück Pelzwerk zweiter Wahl.
»Das habe ich durch Nahkontakt gelernt«, informierte Gunnar Nyberg sein Gegenüber pädagogisch. »Es funktioniert tatsächlich.«
»Warte, verdammt, warte«, bebte Robban.
Nyberg ließ ihn los und fühlte sich mies. Er hatte sich vorgenommen, im Dienst nie wieder Gewalt anzuwenden. Es war von selbst gekommen. Als verlange seine Grizzlyrolle einfach danach.
Robban starrte ihn bewundernd an. »Wow, Mann!« stieß er aus und massierte sich den Nacken. »Was für ein krasser Griff.«
»Komm jetzt zur Sache«, murmelte Nyberg beschämt.
»Okay. Ich habe gehört, dass es einen Drogenhändler gibt, der das zum Prinzip gemacht hat. Alle seine Mitarbeiter reden immer eine Art Rotwelsch miteinander. Das ist eine Methode, das ganze Gewerbe zu verschlüsseln.«
Eine Methode, das ganze Gewerbe zu verschlüsseln, dachte Gunnar Nyberg und sagte, wie es sich gehörte: »Welcher Drogenhändler ?«
»Rajko Nedic.«
»Und du glaubst, dass es Nedic ist, der an dich liefert?«
»Ich habe keine Ahnung«, sagte Robban, zündete sich eine Fluppe an und versuchte, cool auszusehen. »Und vor allem habe ich es nicht gesagt.«
Nyberg ging zu seinem alten Renault zurück, saß eine Weile mit den Händen am Lenkrad da und blickte auf Hjulstas vollkommen homogene Siebziger-Jahre-Architektur. Die Julisonne wurde freudlos von den eintönigen Fensterreihen der graubraunen Häuser reflektiert.
Jaha, dachte Gunnar Nyberg; es war der wärmste Tag des Jahres, der Schweiß rann, und die Gedanken versuchten heldenhaft, einem Tag zu entkommen, der zu Treibsand geworden war. Und aufs neue dachte er: jaha.
Und: jaha.
Dann befreiten sich seine Gedanken mit einem kurzen, aber mächtigen Schub.
Wenn Rajko Nedics Mitarbeiter untereinander immer serbokroatisch sprachen – wie konnten die urschwedischen Nazis in Kumla mitbekommen, dass eine Lieferung stattfinden sollte?
Niklas Lindberg konnte Lordan Vukotic nicht gut zweimal gefoltert haben. Das wäre aufgefallen. Dennoch wusste Lindberg schon zwei Dinge: dass eine Lieferung stattfinden würde und dass ein Treffen im Kvarnen bevorstand. Woher wusste er das?
Nedics Macht baute auf perfekter Disziplin auf. Niemand gab jemals etwas preis. Das war der Grundpfeiler des gesamten Unternehmens. Nur so konnte er mit dieser Präzision als gesetzestreuer Restaurantbesitzer agieren. Sein Wille war ganz einfach Gesetz.
War es ein Riss in Nedics Mauer, den er so plötzlich entdeckt hatte?
Einer von seinen Jungs in Kumla hatte gesungen – noch bevor Vukotic sang. Ein Leck in dem wasserdichten System.
Gunnar Nyberg sah die Chance, ein bisschen Unkraut in den streng getrimmten Garten zu säen. War es nicht möglich, dass die ganze Organisation Risse bekommen würde, wenn Nedic von dem Leck erfuhr?
Nyberg blieb sitzen. Die Knöchel seiner ums Lenkrad gekrallten Hände wurden weiß. Schweißtropfen rannen zwischen die Finger und lockerten den Griff.
Drei Mann in Kumla. Wie hießen sie? Zoran Koco, Petar Klovic, Risto Petrovic. Mit denen würde er sprechen. Sofort.
Ein Stück weit war er schon auf dem Weg. Hjulsta. Er lenkte den morschen Renault auf die E 18 und rollte in Richtung Örebro. Zwischen Bälsta und
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