Falsche Opfer: Kriminalroman
Kollegial, ist ihr Eindruck. Sie nicken zurück und steigen weiter nach oben.
Sie erreichen die dritte Etage und ziehen ihre Dienstwaffen. Sie finden die Tür, auf der Ahlström steht. Sie sammeln sich davor.
Da sehen sie, dass die Tür eingetreten ist. Sie ist nicht geschlossen. Es sieht nur so aus.
Sie drücken sich an die Wand. Die Pistolen am Kinn. Sie schieben die Tür auf.
Sie sehen Blut. Viel Blut. Sie sehen drei Leichen. Und zwei Silbermumien auf einem Sofa.
Und eine auf den Knien am Fenster. Sara erkennt Rajko Nedic. Sobald der Raum gesichert ist, tritt sie zu ihm. Er ist leichenblass hinter dem Silberklebeband. Er nickt so komisch mit dem Kopf. Es ist eine Geste. Sie streckt die Hand zum Klebeband aus. Er schüttelt frenetisch den Kopf und macht weiter mit dem komischen Nicken.
Da versteht sie.
Die Geste besagt: Haut ab hier so schnell ihr könnt.
Und sie reagiert blitzschnell. Schafft ihre Männer raus ins Treppenhaus.
Als sie fort sind, fühlt sich der Große zum zweiten Mal in seinem Leben groß. Dann explodiert sein Kopf.
Sara Svenhagen hört im Treppenhaus den Knall. Sie versteht ihn und versteht ihn nicht. Sie kehren zurück. Vorsichtig.
Rajko Nedic liegt am Fenster. Das Silberband hat sich am Mund geöffnet. Blut sickert heraus. Sara pfeift auf jede Vorsicht. Sie läuft hin und reißt das Klebeband los.
Die Zunge fällt heraus. Ein blutiger Klumpen.
Jemand hat Rajko Nedic die Zunge aus der Schnauze gesprengt.
Sara Svenhagen richtet sich auf. Sie tut ein paar taumelnde Schritte zum Fenster. Sie braucht frische Luft. Es geht nicht. Sie bekommt das Fenster nicht auf. Es ist keine frische Luft zu kriegen.
Eine grün schimmernde Schmeißfliege im Sturzflug prallt an ihre Stirn.
Sara erbricht sich gegen die Fensterscheibe in der Wohnung mit den geräuschisolierten Wänden, die aussehen wie Bordellkissen aus Gold.
Sie kommen aus der Bank. Sie drücken sich die Hände. Fest, ganz fest. Zwischen ihnen hängt eine prallvolle Tasche.
Sie wirft einen kurzen, schrägen, scheuen Blick über die Straße. Zur dritten Etage des Hauses gegenüber. An der Fensterscheibe prangt ein Kotzfleck.
Sie lächelt. Es ist ein stilgemäßer Abschiedsgruß.
45
S ara Svenhagen war blass und matt. Sie saß vorn auf Hultins Pult und baumelte mit den Beinen. Er fand es charmant. Aber er war ja auch ein altes male Chauvinist pig.
Was sie zu erzählen hatte, war nicht ganz so charmant. Aber klärend. Grässlich, aber klärend.
Alle waren anwesend, bis auf Gunnar Nyberg und Kerstin Holm.
Es würde also an diesem Freitag morgen Mitte Juli kaum Chorgesang geben. Heute begannen die World Police and Fire Games mit einem ›Frühstart‹ in mehreren Disziplinen. Morgen um fünfzehn Uhr sollte die feierliche Eröffnung stattfinden. Auch wenn die Teilnehmerzahl nicht ganz so hoch war wie geplant, und auch wenn die Organisation so schlecht war, dass bereits Prozesse anstanden, würde Stockholms Stadion überquellen von Polizisten aus aller Herren Länder.
»Ihr habt also Niklas Lindberg im Treppenhaus getroffen, als ihr auf dem Weg nach oben wart?« sagte Arto Söderstedt.
»Ja«, sagte Sara Svenhagen. »Aber wir wussten nichts von einem Niklas Lindberg. Die Mauern zwischen uns waren viel zu hoch.«
Sie warf einen Blick zu Jorge Chavez hinüber. Er saß blass und erschöpft da und begegnete ihrem Blick. Er sah tief betroffen aus.
»Hat Rajko Nedic etwas gesagt?« fragte Viggo Norlander.
Sara Svenhagen lächelte grimmig. Es war kein Lächeln. Es sah nur aus wie ein Lächeln. »Nein«, sagte sie. »Er kann nicht sprechen. Er wird nie wieder sprechen können.«
»Aber er lebt?«
»Ja. Er liegt im Söder-Krankenhaus. Sie versuchen, ihm die Mundhöhle zusammenzuflicken. Aber die Zunge war nicht zu retten.«
»Eine präzise bemessene Sprengladung«, sagte Hjelm. »Hat dein Papa etwas über den Sprengstoff gesagt?«
Sie warf ihm einen finsteren Blick zu. »Ja, Papa hat gesagt, es sei der gleiche Sprengstoff. Und Rajko Nedic ist festgenommen wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern und der Verbreitung von Kinderpornographie. Ihr könnt die Anklage sicher bald noch um einige Punkte erweitern.«
»Interessant das mit Gillis Döös und Max Grahn«, sagte Söderstedt. »Diese ehemaligen Säpo-Leute, die einmal fast eine unserer früheren Ermittlungen hätten platzen lassen, haben Nedic also mit Informationen über die polizeiliche Ermittlung versorgt?«
»Sie nennen sich ›Sicherheitsberater‹. Aber sie scheinen nicht
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