Falsche Opfer: Kriminalroman
Wohnung. Es ist so still, als sie fallen. Drei von fünf. Er betrachtet seinen Körper. Keine Löcher. Keine heimtückischen, späten Schussverletzungen, die man erst merkt, wenn alles zu spät ist.
Seine beiden überlebenden Männer strecken die Hände zur Decke. Ihre ausdruckslosen Gesichter haben sich nicht nennenswert verändert. Als er sie sieht, begreift er, was kriegsgeschädigt heißt.
Er sieht den Gesichtsausdruck des Mannes nicht. Sein Gesicht ist von einer goldfarbenen Maske bedeckt. Ein wenig Rauch steigt leicht vom Schalldämpfer der kleinen Maschinenpistole auf. Der Mann schließt die Tür hinter sich. Als sei er zu Besuch. Er spricht ein glasklares Englisch mit schwedischem Akzent.
»Ich kenne eure Vorrichtungen in den Jackenärmeln. Benutzt sie lieber nicht. Dann überlebt ihr. Holt ganz langsam die versteckten Pistolen heraus.«
Die beiden legen ihre Waffen vorsichtig auf den Boden und schieben sie mit dem Fuß zu ihm. Der Mann wendet sich an Rajko Nedic. Zum ersten Mal in seinem Leben sieht der eine Waffe auf sich gerichtet.
»Und Sie verhalten sich vollkommen ruhig, Herr Nedic«, sagt der Mann in gesittetem Schwedisch. Dialekt, denkt der Große verwirrt. Bohuslän oder Västergötland. Uddevalla, Trollhättan.
Eine Leiche sitzt auf dem Sofa. Als sei der Mann auf seinem Posten eingeschlafen – ein absurder Gedanke. Die anderen liegen auf dem Boden. Es ist unwirklich. Es kann nicht passieren. Er wirft einen Blick über die Schulter, durchs Fenster. Sonja und der Junge gehen in die Bank. Da lächelt er. Schief. Ihm ist plötzlich alles klar.
»Setzt euch«, sagt der Mann und zeigt aufs Sofa. Die beiden entwaffneten Gorillas setzen sich neben die Leiche. Er wickelt sie schnell und routiniert in stark haftendes Klebeband ein. Sie sehen aus wie Silbermumien.
Rajko Nedic fühlt, wie die Zeit vergeht. Er rechnet aus, wie viel jede Sekunde kostet. Sonja steht immer noch da und wartet darauf, zum Bankfach vorgelassen zu werden. Noch ist Zeit. Zehn Millionen Kronen.
Zehn Millionen oder eine Tochter.
Der Mann blickt ihn an. Eisblau, von Gold umrandet.
»Wie haben Sie hergefunden?« fragt Rajko Nedic. Er muss ein wenig Zeit kaufen. Er muss denken, während er spricht. An etwas anderes denken.
Der Mann schnaubt nur. Sein Blick ist vollkommen fest. »Ich bin Ihnen von Danderyd gefolgt«, sagt er verächtlich und fügt hinzu, jetzt mit Nachdruck: »Ich brauche die zehn Millionen.«
»Ich auch«, sagt Rajko Nedic. »Ich komme selbst nicht an sie heran. Aber ich verstehe nicht – haben Sie den Schlüssel nicht bekommen?«
»Sie verstehen vieles nicht. Wo ist das Geld? In welcher Bank? Und wie ist die Nummer des Bankfachs?«
Der Große fühlt sich nicht so groß. Er sieht ein Szenario vor sich: Er sagt zu dem Mann: ›Die Bank gegenüber. Ein Junge und ein Mädchen sind da und holen in diesem Moment das Geld ab.‹ Und der Mann läuft hinunter. Und der Große befreit seine beiden Männer. Sie verfolgen ihn. In der Bank kommt es zu einem Feuergefecht. Seine kriegsgeschädigten Helden erschießen den Mann. Und Rajko Nedic bekommt seine zehn Millionen.
Dann muss er seine Tochter aufgeben.
Dann muss er seine Tochter ein zweites Mal töten.
Und in diesem Moment lösen sich die Schreie von den Wänden. Die grellen, hellen Schreie, die sich in den porösen Wänden, die wie Bordellkissen aus Gold aussehen, abgelagert haben. Sie brüllen direkt in Rajko Nedics Ohren. Sie sprengen seine Trommelfelle.
Er sagt: »Das werden Sie nie erfahren.«
Und zum ersten Mal in seinem Leben fühlt sich der Große groß.
Der Mann sieht über seine Schulter. Aus dem Fenster. Der Anblick gefällt ihm nicht. Vielleicht erkennt er sie.
Doch was der Mann sieht, ist nur ein flüchtiger Anblick von acht unverkennbaren Gestalten. An der Spitze eine junge Frau mit kurzgeschorenen Haaren. Sie schleichen durch die Hornsgata heran und nähern sich der Haustür.
Der Mann seufzt, fesselt Rajko Nedic mit dem starken Klebeband, nimmt eine kleine Metalldose aus der Tasche, drückt sie Rajko Nedic in den Mund und verklebt ihm die Schnauze. Bindet ihm das Kinn hoch, als sei er bereits eine Leiche. Der Große fühlt die kleine Dose auf der Zunge. Sie schmeckt nach Stahl. Er hat keine Möglichkeit, sie auszuspucken.
»Das ist ein altes Versprechen«, sagt der Goldgekrönte und verschwindet.
Sara Svenhagen folgt ihren Männern. Im Treppenhaus begegnen sie einem kurzgeschorenen, gutgebauten Mann mit klarblauen Augen. Er nickt ihnen zu.
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