Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Falsche Opfer: Kriminalroman

Falsche Opfer: Kriminalroman

Titel: Falsche Opfer: Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arne Dahl
Vom Netzwerk:
quoll herein.
    Sie sahen den Mann auf dem Balkon. Sie identifizierten blitzschnell den Zündmechanismus in seiner Hand. Und sie erschossen ihn.
    Sie gaben so viele Schüsse auf ihn ab, dass es nie zu zahlen sein würde. Der Körper hob ab, und sie schossen weiter. Der Körper wurde über das Balkongeländer geschleudert, und sie schossen weiter. Und sie schossen noch, als er wie ein mittelmäßiger Fallschirmspringer durch die Östermalmer Luft hinabsegelte und mit einem dumpfen, nicht menschlichen Plumps auf dem Straßenpflaster aufschlug.
    Auf dem Balkontisch neben dem toten Niklas Lindberg lag der Zündmechanismus.
    Er war so gefallen, dass der rote Punkt nach oben zeigte.
    Unten in Stockholms Stadion ging die Eröffnungsfeier ihren geplanten Gang.

48

    G unnar Nyberg sang. Er sang um sein Leben. Er stand in der wunderschönen Kungsholms Kirche ganz außen im Chor und holte die Kraft seiner Stimme ganz von den Fußknöcheln herauf. Sein Bass drohte den Rest des Chors zu übertönen. »Komm, du herrliche Blumenzeit.«
    Ganz einfach.
    Auf Ludvig Johnssons Beerdigung hatte er ein Solo gesungen. Eine kurze Verdi-Arie. Eine von vielen Nummern auf der Begräbnisfeier eines Helden. Kommissar Ragnar Hellberg hielt eine magnifike Rede, und keinerlei Unregelmäßigkeit wurde erwähnt. Im Gegenteil, das Polizeikorps hatte seinen langersehnten Helden bekommen. Die Geschichte wurde frisiert, um in die Boulevardpresse zu passen, die ja die Dramaturgie des Landes lenkte. Johnsson hatte Lindberg eigenhändig aufgespürt, ihn unschädlich gemacht und war gleichzeitig von ihm getötet worden. Er starb den Tod eines Helden.
    Eines Helden, der einen Verdächtigten gefoltert hatte.
    Zwei Tage nach seinem Tod traf das vollständige Material über Rajko Nedics Kindesmissbrauch von Johnssons Jugendfreund aus Säffle ein.
    Während er sang, glaubte Nyberg einen kurzen Augenblick lang, in einer der letzten Bankreihen eine Familie zu erkennen. Zwei kleine Jungen, eine Mutter und einen Vater. Der Vater hielt seine Familie umfasst und lachte laut. Über alles und nichts.
    Aber auf der anderen Seite sah er sehr viel, während er sang.
    Sobald dies hier vorüber war, würde er endlich Urlaub machen. Er würde nach Osthammar fahren und die Familie seines Sohnes überfallen und heimsuchen. Lange. Lange.
    In dem umfassenden Ermittlungsmaterial wurden, soweit es Gunnar Nyberg betraf, keine Unregelmäßigkeiten genannt.
    Er sang fürs Leben und blickte hinüber auf die andere Seite des großen Polizeichors. Dort stand Kerstin Holm mit bandagiertem Kopf. Sie lächelte zu ihm herüber, während sie sang. Und er lächelte zurück.
    Kerstin Holm sang die zweite Altstimme. Sie band die anderen Stimmen zusammen, obwohl das, was sie sang, dem Lied ›Komm, du herrliche Blumenzeit‹ überhaupt nicht ähnelte.
    Sie sang fürs Leben. Dafür, dass ein paar unerklärliche Millimeter sie vom Tod getrennt hatten. Sie sang und dankte, doch sie wusste nicht, wem sie danken sollte. Nicht einmal hier in der Kirche war sie sicher, wem sie danken sollte. Und wofür.
    Und sie dachte an Orpheus und Eurydice. Sie und Paul hatten Per Karlssons Wohnung in Aspudden besucht. Es war lange niemand darin gewesen. Auf Ovids Metamorphosen, das aufgeschlagen auf dem Tisch lag, hatte sich eine Staubschicht gebildet, und in der Unordnung fanden sie ein altes Schuljahrbuch der Gesamtschule in Danderyd. Nach längerer Suche fanden sie Per Karlssons Klasse. Die Sieben. Er war ein schmächtiger Blondschopf, einen Kopf kleiner als der nächstkleinste seiner Mitschüler. Er sah verbiestert aus. Und im Hintergrund stand ein ziemlich großes, dunkles Mädchen. Sie sah kernig aus. Sie hieß Sonja Nedic.
    Eurydice war als Sonja Karlsson im Hotel in Skövde abgestiegen. Danach wurde sie Baucis.
    Rajko Nedics Tochter musste also die beiden Mobiltelefone aus dem Restaurant Tartaros auf Östermalm, das ihrem Vater gehörte, genommen haben. Sie musste irgendwie erfahren haben, dass ihr Vater eine große Geldtransaktion plante und dass der Treffpunkt am Abend des dreiundzwanzigsten Juni im Restaurant Kvarnen auf Södermalm ausgehandelt werden sollte. Sie schickte ihren geliebten Per Karlsson dorthin, Orpheus, der sie aus der Unterwelt herausgesungen hatte, Philemon, der gemeinsam mit ihr alt werden und sterben würde, und er erfuhr von dem Treffpunkt im Gewerbegebiet Sickla. Das Paar begab sich dorthin, und hätten sie versucht, die grausame Kriegsverbrecherbande ihres Vaters zu berauben, wären

Weitere Kostenlose Bücher