Falsche Opfer: Kriminalroman
innen. So kann man es wohl sehen.«
»Was treiben sie da eigentlich«, fuhr Hultin fort. »Am Abend vor seiner Freilassung foltert Niklas Lindberg Lordan Vukotic. Aber das wirkt doch wie besser geplant. Am Abend zuvor? Es muss doch von langer Hand vorbereitet gewesen sein. Sechs Mann bei einem gutgeplanten Überfall – das haben sie doch nicht erst achtzehn Stunden zuvor beschlossen.«
»Ich glaube«, sagte Kerstin Holm plötzlich mit dem geballten Stimmvolumen der Chorsängerin, »dass es sich um einen Doppelcheck gehandelt hat.«
Wieder verbreitete sich eine gewisse Verwirrung in der konzentrierten Kampfleitzentrale. Wieder fiel eine neue Stimme in den Gesang ein und verschob die Harmonien. Alle starrten auf sie. Sie streckte Paul Hjelm die Hand hin, und er legte ohne zu zögern das kleine Mikrophon hinein.
Sie hielt es vor den versammelten Augen der Kampfleitzentrale in die Höhe. »Dies hier wurde gestern Abend von der Unterseite eines Tischs im Restaurant Kvarnen in der Tjärhovsgata entfernt. Es ist ein subtiles Abhörgerät.«
»Der Kvarnenmörder«, platzte Gunnar Nyberg heraus, der allzu lange still dagesessen hatte und sich außen vor fühlte.
»Mitnichten«, sagte Kerstin Holm. »Eher seine Konsequenzen. Bei unseren Verhören mit Zeugen aus dem Kvarnen zeichnete sich etwas ganz anderes ab. Leute verdrückten sich en gros und en detail, sobald der Totschlag ein Faktum war. Im Hintergrund der alltäglichen Gewalt lief etwas völlig anderes ab. Oder möglicherweise im Vordergrund.«
»Doppelcheck?« sagte Jan-Olov Hultin in dem vergeblichen Versuch, in etwas, das keine klaren Linien hatte, klare Linien einzuhalten.
»Ja«, sagte Kerstin Holm und sammelte Kraft. Dann fuhr sie fort: »Der eigentliche Check, der wirkliche Check, fand am Mittwochabend im Restaurant Kvarnen statt. Ich glaube, dass sämtliche fünf Leichen dort am Mittwochabend anwesend waren. Allerdings lebendig.«
Sie starrten sie an. Es war mucksmäuschenstill.
»Ich weiß nicht«, fuhr sie fort, »wann Muster anfangen, sichtbar zu werden. Für Paul und mich wurden sie ziemlich früh sichtbar. Wir hatten keinerlei Anhaltspunkt, genaugenommen, außer dem, was wir Witterung nennen könnten. Etwas zeichnete sich ab. Wir wussten nicht, was es war, aber es war da, inmitten der Hammarbyfans. Um es ein wenig zu vereinfachen: Gang 2 saß da und belauschte Gang 1 mit dieser Abhörvorrichtung.«
Erst jetzt fiel der Groschen.
»Aber Niklas Lindberg wurde erst am nächsten Morgen entlassen«, sagte Hultin und versuchte zu folgen. Er spürte, dass er Rost angesetzt hatte – aber er spürte zugleich, wie der Rost in großen Placken abblätterte und um das Pult herum zu Boden fiel. Er war zu Hause. Endlich war er wieder zu Hause.
»Das stimmt«, sagte Kerstin Holm. »Wenn wir versuchen, Söderstedts Annahme zu folgen, dann waren dies hier seine Mannen, die ihn später aus Kumla abholten, möglicherweise unter der Führung des jetzt dahingeschiedenen Sven Joakim Bergwall. Möglicherweise war es ebenfalls Bergwall, der die Geistesgegenwart besaß, einen Mann im Lokal zurückzulassen, um unsere Aufmerksamkeit von der Gang abzulenken.«
»Was kannst du über die nichtidentifizierten Opfer in der Sicklaschlacht sagen, Jorge?« fragte Paul Hjelm.
»Übel zugerichtet ist wohl die treffendste Bezeichnung«, sagte Chavez. »Bergwall, 2B, hatte einen Schuss ins Auge bekommen, kein schöner Anblick. Ohne die Fingerabdrücke hätten wir da nichts gehabt. Das gleiche gilt für den Mann im Wagen. 1A. Dunkles Haar, das ist das einzige, was wir definitiv sagen können. 1 B war völlig zerschossen. Vierundzwanzig Schüsse. Achtzehn aus nächster Nähe. Das Gesicht rekonstruieren zu wollen ist sinnlos. 1 C sieht am besten aus, und sicher ist es ein Balkangesicht. 2 A stürzte wie eine gefällte Kiefer mit dem Gesicht direkt auf den Asphalt. Davon ist nicht mehr viel da. Also insgesamt nur geringe Möglichkeiten, mit Rekonstruktionen in die Medien zu gehen.«
»Uns interessiert 2A«, sagte Hjelm. »Der Große, der mit dem Koffer fortlief, in den Rücken geschossen wurde und keine Vorstrafen hatte. Kräftiger Körperbau?«
»Zweifellos.«
»Dünner Schnauzbart?«
»Ja.«
»Rasierter Schädel?«
»Ja.«
Paul Hjelm schwieg.
Den Rest überließ er Kerstin. Sie war startklar: »Er heißt aller Wahrscheinlichkeit nach Eskil Carlstedt. Verkäufer, wohnt auf Kungsholmen. Wir haben gestern morgen mit ihm geredet. Und ihm seine ganze Geschichte abgenommen. Er
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