Falsche Opfer: Kriminalroman
»Ein schwedischer Polizist. Er zeigte im Kvarnen seinen Polizeiausweis, um rauszukommen, als die Türwachen die Tür blockierten.«
»Könnte es nicht ein gefälschter Polizeiausweis gewesen sein?« fragte Hultin.
»Natürlich könnte es das. Aber er war der einzige Schwede in der Gruppe. Und der einzige Schwede wedelt mit einem Polizeiausweis. Außerdem hat es den Anschein, als sei er mit polizeilichen Prozeduren ziemlich vertraut. Er wollte nicht im Kvarnen zurückbleiben, als die Verhöre wegen des Totschlags begannen.«
»Dann ist es wohl an der Zeit, sich zu fragen, worum sich das Ganze dreht«, sagte Hultin. »Also wenn wir alle waghalsigen Hypothesen akzeptieren, die dem leicht eingerosteten Kommissar in der letzten halben Stunde um die Ohren geschwirrt sind. Worum geht es? Es muss wohl der Drogenhändler Rajko Nedic sein, der im Zentrum steht. Er soll also etwas in einem Aktenkoffer liefern, und zwar an einen Mann, der möglicherweise schwedischer Polizeibeamter ist. Was von großem Wert kann sich in einem Aktenkoffer befinden? Wahrscheinlich Geld, weil jeder Polizist weiß, wie schwer es ist, Drogen abzusetzen, ohne dass man zum einen oder anderen Zeitpunkt auffliegt. Offenbar handelt es sich auch nicht um eine Routinezahlung, sondern es muss über die Übergabe verhandelt werden. Also hat der Polizist ›Angst‹. Also ist es eine einmalige Zahlung. Warum? Ist ein schwedischer Polizist im Begriff, sich in die Drogenbranche hineinzudrängen? Das hört sich nicht gut an. Erpressung? Tja, warum nicht? Aber mit welchem Ziel? Und wie kommt es, dass die kriminelle, vermutlich nazistisch gefärbte Gang 2 davon erfährt, dass die Übergabe stattfinden soll? Sie wissen seit einiger Zeit, dass sie stattfinden wird, die sechs sind bereit, sobald Niklas Lindberg aus dem Knast kommt. Doch sie wissen nicht exakt, wann und wo sie stattfinden soll. Das bringen sie am Vorabend in Erfahrung, und zwar auf zwei verschiedene Weisen. Aber woher wussten sie ursprünglich davon?«
»Es ist wohl nicht unwahrscheinlich, dass es schon vorher via Vukotic gelaufen ist«, warf Söderstedt ein. »Lindberg und Bergwall sitzen in Kumla und belauschen ein heimliches Gespräch. Sie wissen, dass eine Lieferung stattfinden soll, aber wann, wo und wie? Vielleicht erfährt Lindberg, der noch länger einsitzt, später von dem Treffen im Kvarnen.«
»Viele Fragen«, sagte Paul Hjelm.
»Ja«, stimmte Hultin ein und sah auf. »Aber auch eine Reihe von Antworten, und zwar bedeutend mehr, als ich mir hätte träumen lassen, als ich in Waldemar Mörners vollklimatisiertem Saab die noch etwas farblosen Informationen überflog.«
»Was haben wir denn dann?« fragte Chavez, der noch vorn an der Flipchart stand und ein wenig überwältigt wirkte. »Wahrscheinlich drei Mann von sechs in Gang 2. 2A ist Eskil Carlstedt. 2B ist der Nazi Sven Joakim Bergwall. Die beiden sind tot. 2D ist der Führer Niklas Lindberg. Uns fehlen der angeschossene 2C sowie 2E und 2F. Was Gang 1 angeht, schicken wir die Fingerabdrücke von 1A, 1B und 1C an Interpol – und vielleicht an exjugoslawische Behörden, falls das möglich ist.«
»Und dann der Sprengstoff«, sagte Norlander. »Was ist das für ein hyperaktiver flüssiger Sprengstoff, der durch eine elektronische Mikrovorrichtung gezündet wird? Niemand scheint eine Antwort zu wissen. Aber wahrscheinlich ist es wichtig.«
»Wahrscheinlich«, sagte Hultin. »Wir müssen weiter daran arbeiten. Interpol auch. Und eine ganze Reihe Dinge müssen bestätigt werden. Wir müssen in Eskil Carlstedts Wohnung ein paar Fingerabdrücke nehmen und sie mit 2A vergleichen. Beispielsweise. Und dann kann man sich ja fragen, wie wir uns Rajko Nedic gegenüber verhalten wollen. Er hat ja immer viel Wert darauf gelegt, in aller Öffentlichkeit zu agieren. Ehrenwerter Geschäftsmann. Restaurantbesitzer.«
»Wir sollten schon mit ihm reden«, sagte Hjelm, »fragt sich nur, wann. Wann sollen wir offen legen, was wir wissen? Was verlieren, beziehungsweise gewinnen wir dabei, dass wir mit ihm reden? Etcetera.«
Hultin nickte und blickte über das Auditorium. »Und jetzt wollt ihr wissen, was Sache ist, nicht wahr? Personalfragen. Ihr wisst, was sie gestern im Fernsehen gesagt haben. Die Personalknappheit bei der Polizei in diesem Sommer ist akut. Der Justizminister spricht offen von der schlechten Urlaubsplanung der Polizei. Mancherorts sind schon Bürgergarden gebildet worden, die sich um Angelegenheiten kümmern, um die wir uns nicht
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