Falsche Opfer: Kriminalroman
wurde und dass Ihnen vier wichtige Mitarbeiter verlorengegangen sind. Es könnte sein, dass sich der Personalmangel bemerkbar macht, auch wenn Sie jederzeit beliebig viele Kriegsverbrecher aus dem früheren Jugoslawien rekrutieren können. Wir wissen auch, wer Sie beraubt hat, falls es Sie interessiert. Sie sollten in diesem Aktenkoffer Geld oder Drogen an einen Geschäftspartner liefern, der diese Lieferung nicht erhalten hat. Dieser Geschäftspartner ist natürlich aufgebracht. Und vielleicht ein Risikofaktor. Wir wissen, dass Sie alles tun werden, um diesen Aktenkoffer zurückzuerobern, und wir werden die ganze Zeit dabei sein. Ist dies eine Erpressung, die Sie gern der Polizei melden möchten?«
Rajko Nedic betrachtete den älteren Mann mit der Eulenbrille auf der riesigen Nase. »Nein«, antwortete er.
»Ausgezeichnet«, sagte Jan-Olov Hultin und machte auf dem Absatz kehrt. »Denken Sie daran, dass dies nicht die übliche Situation ist. Von jetzt an wird alles viel schwieriger.«
Er ging auf das Tor zu. Nach einigen Metern drehte er sich noch einmal um. »Nur eine Frage noch«, sagte er. »Was ist eigentlich der Unterschied zwischen Kraut und Unkraut?«
Rajko Nedic kicherte leise. »Ganz einfach, Kommissar«, sagte er. »Unkraut ist das, was man ausreißt.«
19
A ls Sara Svenhagen davor stand und nach oben blickte, wurde ihr klar, warum sie die Adresse Fatburstrappan 18 nicht erkannt hatte.
Es war der Söder-Turm.
Im Jahre neunzehnhundertachtzig wurde die Planung des Geländes von Södra Station in Stockholm begonnen. Es sollte praktisch ein ganz neuer Stadtteil entstehen. Ein Architektenwettbewerb wurde ausgeschrieben. Die Wohnungsbaugesellschaft HSB schlug vor, ein ›Manhattan auf Söder‹ zu bauen und das gesamte Gelände von fünfundzwanzig Hektar mit Wolkenkratzern von zwanzig bis vierzig Etagen zu bedecken. Der Vorschlag hatte Anhänger in erstaunlich vielen Lagern, aber es war ja auch zu Beginn der achtziger Jahre. Eine Zeit des galoppierenden Wahnsinns. Natürlich konnte der Vorschlag trotzdem nicht verwirklicht werden. Neunzehnhundertvierundachtzig legte das Städtische Baubüro einen alternativen Vorschlag vor, in dem noch ein Hochhaus übrig blieb, ein Kompromiss, der darauf abzielte, die traditionelle Form der Wohnviertel beizubehalten – mit einem hohen Turm, einem Campanile oder einem Kirchturm –, während gleichzeitig die Befürworter der Wolkenkratzer-Idee nicht ganz leer ausgingen. Später im gleichen Jahr wurde erneut ein Architektenwettbewerb ausgeschrieben, und zwar für dieses Hochhaus, das am Medborgarplats errichtet werden sollte. Siebzig Entwürfe gingen ein, die allermeisten schlugen einen gewaltigen pseudoamerikanischen Wolkenkratzer von zirka fünfzig Etagen vor. Eines der Jurymitglieder verhielt sich wenig neutral. Sein Name war Sune Haglund, konservatives Mitglied im städtischen Bauausschuß. Er argumentierte lebhaft für ein extrem hohes und umfangreiches Bürogebäude, am besten mit rotierendem Restaurant auf der Spitze. Der Wettbewerb endete, ohne dass ein Gewinner benannt wurde, doch einige belohnte Teilnehmer durften sich zwei Jahre später an einem neuen Wettbewerb für ein gegenüber dem Vorschlag Haglunds bedeutend schlankeres Bürohaus beteiligen. Der dänische Architekt Henning Larsen gewann mit dem Entwurf eines runden Turms mit dreiundvierzig Etagen. Im Volksmund erhielt er den Namen ›Haglunds Latte‹. Dies war also neunzehnhundertsechsundachtzig. Nach einigen Jahren der Debatten und Ausschussberatungen kam man zu dem Ergebnis, dass dreiundvierzig Stockwerke enorm hoch seien, der Turm würde wie ein verrückter Phallus aus Södermalm aufragen, mit dem Testikel des Globus als trister Ergänzung in Sichtweite. Nein, man reduzierte auf dreiunddreißig Stockwerke, die zu dreiundzwanzig wurden, die schließlich, nach dem Veto der Stockholms-Partei, zu elf wurden. Aus der Latte wurde ein Daumen. Das wenig imponierende Bürohaus von elf Stockwerken wurde neunzehnhundertneunzig rechtskräftig abgesegnet. Inzwischen war das alte Bahnhofsgelände von Söder kurz vor der intensiv betriebenen Fertigstellung. Die Södermalmshallen, Bofills Bogen, die Fatburstreppe, der Fatburspark. Doch jetzt waren die neunziger Jahre, die Wohnungskrise war ein Faktum. Alles weitere Bauen wurde auf Eis gelegt. Bis zweiundneunzig. Da stellte der Liegenschaftsausschuss fest, dass nicht Büros benötigt wurden, sondern Wohnungen. Aus dem Bürohaus von elf Etagen machte Henning Larsen
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