Falsche Väter - Kriminalroman
noch?«
»Schon möglich.«
»Dann richten Sie ihm aus, dass ich mich nicht länger hinhalten
lasse. Er soll am besten selbst vorbeikommen, damit wir die Sache regeln
können. Sonst mache ich morgen Ernst!«
»Machen Sie sich nicht unglücklich«, sagte van de Loo. »Mit Politikern
ist nicht zu spaßen!«
»Kümmern Sie sich um Ihren eigenen Dreck!«, maulte Moelderings,
drehte sich um und verließ die Reithalle. Seine Reitstiefel bohrten sich tief
in den Sand. Er ist ein Erpresser, dachte van de Loo, aber auf keinen Fall ein
Mörder.
Er ging mit Johanna auf den Hof, und sie warteten, bis Katharina aus
dem Stall kam. Sie strahlte über das ganze Gesicht.
»Wie war’s?«, fragte Johanna noch einmal.
»Super! Meinst du, ihr könntet mich öfter hierherbringen?«
»Vielleicht«, sagte Johanna ausweichend. Gemeinsam gingen sie zum
Auto zurück. Van de Loo hielt Ausschau nach dem verrückten Knecht, aber er war
nirgendwo zu sehen.
* * *
Tante Gertrud stand vor der Badtür und hielt den Atem an. Im Haus
herrschte Stille. Nur das Plätschern des Wassers hinter der Tür war zu hören.
Sie bückte sich, um einen Blick durchs Schlüsselloch zu werfen, aber der
Schlüssel steckte, sodass sie nichts sehen konnte. Vorsichtig drückte sie die
Klinke herunter, öffnete die Tür und steckte ihren Kopf ins Badezimmer.
»Entschuldigung«, sagte sie, als sie Anna sah.
»Du brauchst dich nicht zu entschuldigen«, sagte Anna. »Komm ruhig
rein. Du störst mich nicht.«
Gertrud zögerte einen Augenblick, dann schlüpfte sie ins Bad und
schloss die Tür. Anna hatte einen weißen Bademantel an, stand am Fenster und
ordnete die Handtücher auf dem Trockenständer. Das Wasser in der Wanne dampfte.
»Ich brauche ab und zu ein Bad«, sagte sie. »Zur Entspannung. Und
jetzt, wo die anderen nicht da sind, wollte ich die Gelegenheit nutzen.«
»Na, dann viel Vergnügen«, sagte Tante Gertrud schüchtern und wandte
sich zum Gehen.
»Bleib doch. Ich hab es gern, wenn jemand da ist, mit dem ich reden
kann.«
»Ich weiß nicht …«
»Ist doch nichts dabei!«
»Also gut.« Gertrud klappte den Klodeckel herunter und setzte sich.
»Es ist schön, dass du hier bist«, sagte sie.
»Für mich ist es das größte Glück. Ich habe noch nie eine richtige
Familie gehabt. Ein Zuhause. Immer hat was gefehlt. Und jetzt so was! Ein
eigenes Zimmer! Leute, die mich gern haben.«
»Ich wollte eigentlich eine Wand in deinem Zimmer rot streichen«,
sagte Tante Gertrud. »Sarah hat Rot immer geliebt.«
»Ich auch«, sagte Anna. »War Sarah deine Freundin?«
»Ich habe sie geliebt«, sagte Tante Gertrud leise. »Und sie mich
auch. Aber damals ging das nicht. Liebe zwischen Frauen war verboten.«
»Verboten? Wie kann man denn die Liebe verbieten?«
»Du hast recht. Aber die Menschen sind manchmal sehr dumm. Sie
verstehen nicht, dass das Glück seine eigenen Wege geht. Sie meinen, alle
müssten gleich sein.«
Anna zog ihren Bademantel aus, warf ihn über den Trockenständer und
trat an den Wannenrand. Sie hatte die Augen geschlossen und lächelte versonnen
in sich hinein, wie jemand, der allein ist und an etwas Schönes denkt. Dann
beugte sie sich vor und stellte den Wasserhahn ab. Mit einer Hand prüfte sie
die Temperatur, dann stieg sie in die Wanne. Ihr jugendlicher Körper versank im
warmen Schaum. Gertrud saß wie versteinert auf dem Klodeckel.
»Willst du auch reinkommen?«, fragte Anna.
»Du bist nicht Sarah«, sagte Tante Gertrud. »Sie haben Sarah damals
mitgenommen. Sie hatte kein Glück und die falschen Haare.«
»Entschuldige«, sagte Anna. »Ich wollte dich nicht an etwas
Schlimmes erinnern. Komm doch trotzdem rein. Auch wenn ich nicht Sarah bin.
Erzähl mir von damals. Ich mag Geschichten, die von der Liebe handeln, auch
wenn sie traurig sind.«
Tante Gertrud zögerte einen Augenblick. Dann stand sie auf und
begann sich auszuziehen. Ihr magerer Körper zitterte. Vom Hals bis zu den Füßen
war sie von einer Gänsehaut überzogen, als sie vorsichtig in die Wanne stieg.
Die Wärme umfing sie von allen Seiten. Sie streckte ihre weißen Beine und
schloss die Augen. Tränen liefen über ihre eingefallenen Wangen. Sie weinte,
über die Vergangenheit, die Geschehnisse, die mehr als sechzig Jahre
zurücklagen. Aber sie weinte auch über die Gegenwart, die sie so glücklich
machte, dass sie es nicht fassen konnte.
* * *
Karl Jaspers hatte bei seiner Festnahme neben einem Nasenbruch nur
harmlose Schnittwunden davongetragen. Am
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