Falsche Väter - Kriminalroman
müssen.
»Was ist los?«, hakte Anna nach.
Van de Loo schluckte und wischte sich mit dem Ärmel über den Mund.
»Sag mir endlich, was da drin los ist!«, sagte Anna.
»Er ist tot.«
»Tot? Onkel Theo? Das glaub ich nicht!«
»Es ist aber so, verdammt!«
»Das will ich sehen!«
»Tu es nicht! Sieh dir das lieber nicht an.«
»Doch! Ich muss! Ich muss sehen, ob er wirklich tot ist!«
Wie stets, wenn sie sich unsicher fühlte, fischte Anna ihr Handy aus
der Tasche. Dann ging sie entschlossen in die Hütte zurück. Van de Loo folgte
ihr. Er setzte sich auf einen Stuhl, während Anna sich der Tür des Nebenraums
näherte, wobei sie das Handy wie eine Waffe in beiden Händen hielt. Mit dem Fuß
stieß sie die Tür auf. Für Augenblicke geschah nichts. Anna stand in der Tür,
wie erstarrt. Eine grässliche, unbegreifliche Stille umgab sie. Dann verlor sie
die Kontrolle, das Handy fiel ihr aus den Händen und schlitterte über den
Holzboden.
Van de Loo brachte Anna nach draußen. Am liebsten wäre er sofort mit
ihr zum Auto gegangen und zu Johanna gefahren, aber das war unmöglich.
»Geht es?«, fragte er nach einer Weile.
Sie nickte.
»Wir müssen die Polizei anrufen. Je länger wir warten, umso
schlimmer wird es.«
»Warum?«
»Weil man dir unangenehme Fragen stellen wird.«
Van de Loo tastete nach seinem Handy. Als er merkte, dass er es in
der Eile nicht mitgenommen hatte, ging er noch einmal in die Hütte, um Annas
Handy zu holen. Neben der Tür sah er die Stelle, wo das Foto gehangen hatte.
Die hellen Umrisse des Rahmens zeichneten sich deutlich auf der Holzvertäfelung
ab. Er ging weiter, auf die offen stehende Tür des Nebenraumes zu. Er war jetzt
hellwach. Alle Benommenheit war von ihm abgefallen. Stattdessen fühlte er mit
einem Mal eine unbändige Wut in sich hochkochen. Eine irre Wut auf die Welt,
die Menschheit und nicht zuletzt auf sich selbst. Was mache ich hier
eigentlich?, fragte er sich. Welches idiotische Über-Ich hat dafür gesorgt,
dass ich mich verpflichtet fühle, hier zu sein?
Er sah den Toten an, als wäre er kein Mensch, sondern ein
Gegenstand. Um ihn herum war alles mit Blut und Hautfetzen besprenkelt. Van de
Loo kniete sich auf den Boden und fischte nach dem Handy. Als er es in den
Fingern hatte, stand er auf.
»Du Schwein!«, murmelte er. »Sei froh, dass du tot bist!«
Dieser Mann auf dem Bett ekelte ihn an, aber nicht, weil er tot war
und furchtbar aussah. Van de Loo dachte an die Geräusche, die er gehört hatte.
Er wandte sich zum Gehen. In der Tür drehte er sich noch einmal um. Bis zu
diesem Augenblick hatte er geglaubt, Grossmann habe sich selbst erschossen.
Jetzt erst wurde ihm klar, dass das unmöglich war, und er rief die Polizei an.
Allmählich schien Anna zu begreifen, was passiert war. Sie sah van
de Loo mit glasigem Blick entgegen, als er aus der Hütte trat. Er setzte sich
neben sie auf die Verandabank und gab ihr das Handy zurück. Sie schwiegen. Van
de Loo spürte, dass Anna am ganzen Körper zitterte.
»Er war sonst immer ganz anders«, sagte sie nach einer Weile. Ihre
Stimme klang matt und monoton. »Er hat sich wirklich um mich gekümmert. Und
dann fällt er über mich her und bringt sich um. Das passt gar nicht zu ihm.«
»Es war kein Selbstmord«, sagte van de Loo.
»Kein Selbstmord?«, fragte Anna. »Wieso nicht?«
»Weil ich in der Schlafkammer keine Waffe gesehen habe. Die
Jagdgewehre stehen alle im Schrank. Er kann sich wohl kaum erst erschossen und
dann die Waffe an ihren Platz zurückgestellt haben.«
»Dann war es jemand anders?«
»Ja«, sagte van de Loo nachdenklich. »Sieht ganz so aus.«
»Aber wer denn?«
»Keine Ahnung«, sagte van de Loo. »Vielleicht hat euch jemand
beobachtet.«
»Beobachtet? Wobei?«
»Wie er sich über dich hergemacht hat.«
»Du meinst, da war noch jemand?«
»Wäre doch möglich, oder?«
»Stimmt. Jetzt fällt es mir wieder ein. Ich glaub, da war
tatsächlich jemand. Auf dem Hochsitz dahinten.«
»Mit einem Fernglas kann man wahrscheinlich in die Hütte schauen.
Vielleicht hat er gewartet, bis du weg warst, und ist dann zu Grossmann
gegangen.«
»Dem Kerl würde ich aber in die Eier treten«, stieß Anna hervor.
»Schaut erst seelenruhig zu, wie Onkel Theo mich vergewaltigt, und zahlt es ihm
später heim. Der hätte mich doch beschützen und Onkel Theo zur Vernunft bringen
müssen.«
Anna weinte, und van de Loo hatte plötzlich ein mulmiges Gefühl. Er
schaute sie von der Seite an.
»Wann genau
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