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Falsche Zungen

Falsche Zungen

Titel: Falsche Zungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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Lyriker neigen eher zu blauen Blumen. Richtig bunt wird es nur bei Erfolgsautoren, die wiederum von den Raben gemieden werden.
    Meinen Urlaub nahm ich nie am Stück, sondern verteilte ihn auf viele kleine, über das Jahr verstreute Reisen. Kaum ein Sammlertreffen, wo ich nicht herumstöberte und dort immer wieder auf Tom und Maxe stieß. Inzwischen war unser Verhältnis familiärer geworden, wenn sie mich auch immer gutmütig verspotteten. Es war in Eisenach, als Maxe mich entdeckte und schon von weitem rief: »Da kommt ja unser Stammkunde, der Klugschwätzer! Wir haben was für dich!«
    Ich machte gute Miene zum bösen Spiel, denn letztlich wollte ich es nicht mit ihnen verderben. »Was haben Sie denn anzubieten?« fragte ich und ärgerte mich gleichzeitig, daß ich es nie fertigbrachte, sie zu duzen.
    »Trari, trara, der Lenz ist da«, grölte Tom und wedelte respektlos mit einem Papier unter meiner Nase herum.
    »Lassen Sie doch mal sehen ...«, bat ich, aber er tanzte wie ein Bär vor mir her und stank überdies nach Bier.
    Als ich schließlich das Blatt in die Finger bekam, packte mich nackte Gier. Zwar wußte ich, daß ein Pokerface der einzig zweckmäßige Ausdruck bei diesem Spiel war, aber ich war nicht zur Verstellung fähig. Von der Vorderseite blickte mich Siegfried Lenz unter einem handgeschriebenen Satz milde lächelnd an, auf der Rückseite war vermerkt: Zitat aus der Deutschstunde. Ich hatte endlich ein passendes Pendant zu Hermann Hesse gefunden, denn in Format und Papierqualität waren sich beide Karten verblüffend ähnlich.
    Aus taktischen Gründen rang ich mir eine plumpvertrauliche Anrede ab und fragte mit verlegenem Räuspern nach dem Preis.
    Tom wollte mich ärgern. »Ich hab’s mir anders überlegt, den wollen wir behalten, gell Maxe?«
    Sein Freund nickte grinsend.
    Zum Betteln war ich zu stolz, lieber wollte ich verzichten.
    Aber Tom lenkte bereits ein. »Du kannst den Opa sogar umsonst kriegen«, sagte er, »mußt uns nur einen kleinen Gefallen tun.«
    Ich ahnte nichts Gutes, und beide lachten über meine skeptische Miene. »Brauchst nicht so ängstlich zu glotzen. Du sollst uns bloß heimfahren, denn wir sind ausnahmsweise ohne unsere Feuerstühle hier. Ein Kumpel hat uns mitgenommen, es lag zuviel Schnee.«
    Natürlich gingen sie davon aus, daß ich mit dem Auto hier war, dabei besaß ich nicht einmal einen Führerschein.
    Also schüttelte ich den Kopf. »Hab keinen Wagen«, sagte ich und wollte gehen.
    Fassungslos sahen sie mich an. »Wie kommst du denn überallhin?« fragten sie wie die kleinen Kinder.
    Als sie erfuhren, daß ich als Zugbegleiter fast täglich mit der Bahn unterwegs bin und mir auch für private Reisen 16 freie Fahrten innerhalb Deutschlands zustehen, staunten sie Bauklötze.
    »Für ne halbe Portion wie dich isn Motorrad ja wirklich nix«, meinte Maxe mitleidig »aber wir dachten, du hättest wenigstens einen Golf oder so was ...«
    Irgendwoher wußten sie, daß wir rein räumlich nicht weit auseinander lebten: ich in Mannheim, Tom und Maxe im Odenwald. Ob ich meine Freunde kostenlos auf die Reise mitnehmen könne, wollten sie wissen. Ich verneinte; höchstens eine Ehefrau, sagte ich zögernd.
    Flugs hatten mich die beiden untergehakt und schwatzten auf mich ein, wie gern sie jetzt in der warmen Eisenbahn sitzen und Bier trinken würden. »Los, sei kein Frosch«, sagten sie, »du hast doch Beziehungen. Zeig mal, was in dir steckt!« und so weiter.
    Am Ende hatten sie mich weichgekocht, und ich versprach, sie als blinde Passagiere einzuschleusen. Allerdings plante ich, hinter ihrem Rücken zwei gültige Fahrkarten zu kaufen. Die Sache war es mir wert, denn schließlich hatte ich die Reise nach Eisenach nur auf mich genommen, um meine Sammlung um ein neues Glanzstück zu bereichern.
    Als wir den IC nach Frankfurt bestiegen, sah ich, daß ich den Schaffner kannte. Er begrüßte mich unter penetrantem Gähnen und klagte über eine anstrengende Woche. Tom und Maxe standen hinter mir und sagten zum Glück kein
    Wort, bis ich sie in einem Coupé der ersten Klasse einquartiert hatte. Mit dem Versprechen, ihnen ein Bier zu besorgen, suchte ich den Kollegen im Dienstabteil auf.
    Ohne besondere Einwände nahm er meinen Vorschlag an, überließ mir seine Uniformjacke und Mütze sowie das mobile Terminal und schloß sich zum Schlafen in das Behindertenabteil ein. »Das werde ich dir nie vergessen«, sagte er, »weck mich bitte kurz vor Frankfurt, und natürlich auch, wenn ein

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