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Falsche Zungen

Falsche Zungen

Titel: Falsche Zungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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Händler, »hier zum Beispiel Norman Mailer, außerordentlich günstig, weil eine Ecke abgeknickt ist.«
    Ich schlug das Angebot aus, da es mir trotz des Preisnachlasses teuer vorkam.
    Auf der nächsten Frankfurter Buchmesse aber zahlte ich ohne nennenswerte Bedenken den Eintritt und ging auf die Suche. Warum sollte ich gutes Geld ausgeben, wenn freundliche Autoren bei ihren Verlagen herumlungern mußten und nur darauf warteten, ihren Fans ein Autogramm zu geben? In meine Jackentasche hatte ich einen winzigen Fotoapparat und einen Block mit Briefkarten gesteckt, weil sich die erhofften Autogramme in Größe und Papiersorte gleichen sollten. Unter all den müden Messebesuchern, die sich abends auf den Weg zum Bahnhof begaben, war ich wahrscheinlich der glücklichste. In meiner prallen Plastiktüte steckten zwischen einer Fülle von Verlagsprospekten: die Wohmann, die Jelinek und John Irving auf bastfarbenen Bütten.
    Zu Beginn meiner neuen Leidenschaft studierte ich mit Sorgfalt die kulturellen Angebote im Mannheimer Morgen. Sowohl in der Kunsthalle als auch in diversen Buchhandlungen meiner Heimatstadt wurden regelmäßig Autorenlesungen veranstaltet, die ich das eine oder andere Mal besuchte. Bald erkannte ich allerdings, daß das Kaufen und Lesen von Büchern eine weibliche Domäne ist und im krassen Gegensatz zu den Obsessionen männlicher Autogrammsammler steht. Jene Frauen, die verzückt den Worten der Dichter lauschten, hatten nichts anderes im Sinn, als ein signiertes Buch im Triumphzug nach Hause zu tragen.
    Daran lag mir gar nichts. Bücher nehmen sehr viel Platz ein und haben überdies ein beträchtliches Gewicht. Wenn man sie - wie ich - auf keinen Fall lesen möchte, so macht die Unterschrift in einem dicken Wälzer wenig Sinn. Mein vierbändiges Lexikon forderte bereits genug Raum im Regal. Außerdem hatte ich mit den zahlreichen in der Bahn herumliegenden Zeitungen bereits mehr als genug Lesestoff.
    Inzwischen weiß ich, daß Autographen und Autogramme durchaus 500 Euro und mehr wert sein können, vor allem wenn sie von Verstorbenen stammen und der Text ein bißchen mehr als den simplen Namen enthält. Die billigen Unterschriften von Bestseller-Schreibern, die wie am Fließband mit Filzstiften signieren, interessieren mich nur am Rande, eignen sich aber gut als Tauschobjekt. Mittlerweile habe ich mich schon öfter zum Schachern entschlossen: zwei Martin Walser gegen einen Robert Walser, vier Bölls gegen einen Thomas Mann, drei Simmels plus drei Konsaliks gegen einen Grass und so weiter.
    Manchmal werde ich wohl oder übel auf Tauschbörsen von den bereits erwähnten Banausen angesprochen. Für einen Beckenbauer offerieren sie mir zwanzig KrimiAutoren, aber wo soll ich ein Fußballer-Autogramm hernehmen?
    »He, Bücherwurm«, rief der dicke Tom eines Tages, »ich hab was für dich! Der Typ nennt sich Dürrenmatt und soll Schriftsteller sein. Haste Interesse?«
    »Wieviel?« fragte ich matt, denn im Gegenzug hatte ich nichts vorzuweisen, was Tom imponieren konnte.
    »Sagen wir mal 100, weil du’s bist«, schlug er vor, und nach einigem Hin und Her erwarb ich einen Bogen mit der Skizze eines Turms und einer krakeligen Signatur. Seitdem bot mir Tom immer wieder etwas an, verriet aber nie, wie er an diese Objekte gekommen war. Seltsamerweise hatte er häufig etwas dabei, was ich unbedingt besitzen wollte.
    Unermüdlich schicke ich Briefe mit einem kurzen Anschreiben und frankiertem Rückumschlag an Verlage oder direkt an die Schriftsteller. Manche reagieren nie, schneiden wahrscheinlich das Porto aus und drehen mir eine lange
    Nase. Andere sind zuverlässig, manche verschenken sogar Hochglanzfotos wie ein Popstar. Genau diese Sorte beglückt nicht gerade mein Sammlerherz, ist aber als Tauschobjekt bei Tom und seinem Kumpan hoch willkommen.
    Tom und der stramme Maxe sind stets in schwarzes Leder gekleidet. Auch die Literaten, denen ich auflauere, bevorzugen düstere Farben. In Toms Fall ist mir klar, was er damit bezweckt, denn er hat mindestens meinen dreifachen Umfang. Auch unter den Autoren sind zwar ein paar übergewichtige, aber der Grund für ihre Trauerkleidung ist wohl eher in ihrer berufsbedingten Melancholie zu suchen.
    Krähenartig bevölkern sie die Leipziger und Frankfurter Messe, schwarze Rollkragenpullover unter anthrazitfarbenen Jacketts, grauschwarze Hosen, pechschwarze Stiefel.
    Die Krimi-Schreiber pflegen ihre Friedhofsklamotten zuweilen durch einen roten Schal zu dämonisieren, die

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