Falsche Zungen
Bischöfen, Opernsängerinnen oder Wirtschaftsbossen
- Hauptsache, der Name stand mal in der Zeitung. Wenn sie gar die Unterschrift eines bekannten Bankräubers wie etwa Ronald Biggs erworben haben, sind sie selig. Natürlich haben sie auch gelegentlich einen Autor in ihrer Kollektion, denn im Grunde ist ihnen nichts heilig. Mit diesen Menschen will ich absolut nichts gemein haben, obwohl ich nolens volens immer wieder mit ihnen zusammenstoße. Ich sammle ausschließlich Autogramme von Schriftstellern.
Zu Beginn dieser Leidenschaft hielt ich nichts von Tausch oder gar Ankauf, mittlerweile sehe ich aber ein, daß es ohne eine gewisse Flexibilität nicht geht. Zwar widerstrebt es mir sehr, auch nur einen einzigen Beweis meiner Bemühungen wieder herauszurücken, aber zum Glück kann ich bei Dubletten über meinen Schatten springen. Sonst käme ich unter Umständen nie an seltenes oder scheues Wild heran, ganz zu schweigen von den Unterschriften toter Dichter.
Mein erstes Autogramm habe ich geerbt. Es stammte von einem Onkel, der mir in seinem Nachlaß ein Sparbuch mit einigen tausend Euro, Aktenordner, Briefmarkenalben, ein paar Lexika, speckige Lederkoffer, eine Schreibmaschine und zahllose Radios zum Entsorgen hinterließ. Ich schaffte die Briefmarken sofort beiseite und beschloß, sie einem Fachmann zum Schätzen vorzulegen. Den übrigen Papierkram sah ich nur flüchtig durch, da ich mir wenig Chancen auf einen ungehobenen Schatz ausrechnete. Dieser geizige alte Mann hatte kaum etwas anderes als Müll gestapelt. Möbel und Hausrat hatte er seiner langjährigen Pflegerin überlassen, und ich hätte auch keine Verwendung dafür gehabt. Aber weil ich immerhin die Briefmarken und in einem der Koffer einen silbernen Löffel vorgefunden hatte, unterzog ich auch die Akten einer kurzen Inspektion. Uralte Kontoauszüge und Rechnungen, Versicherungspolicen, die Korrespondenz mit einer Krankenkasse und ähnliche Funde interessierten mich weniger als gar nicht; ich betätigte mich tagelang als knurrender Reißwolf, denn ich bin zu pietätvoll, um fremden Menschen die Möglichkeit einer Einsicht zu gewähren.
In einer Klarsichthülle steckte eine Porträt-Postkarte, die ich beinahe ebenso hurtig wie die Bankbelege zerrissen hätte. Zum Glück stutzte ich sekundenlang, weil mir irgend etwas an diesem asketischen Antlitz bekannt vorkam. Das Schwarzweißfoto jenes betagten Herrn mit Strohhut war von gediegener Qualität, darunter entzifferte ich die Zeilen: Herzlich grüßt H. H.
Ich drehte die Karte um: Auf der Rückseite hatte mein Onkel mit Bleistift notiert: Hermann Hesse.
Jene Karte war die einzige ihrer Art inmitten all der buchhalterischen Langweiligkeit. Ich hatte keine Ahnung, wie der alte Knochen in ihren Besitz gekommen war.
Sei es, wie es sei, im gleichfalls geerbten Literaturlexikon informierte ich mich über die Lebensdaten und Werke des Dichters und studierte eingehend Hermann Hesses Schriftzüge, ja befeuchtete meinen Zeigefinger mit Spucke, um durch eine feinfühlige Prüfung festzustellen, ob es sich um echte Tinte handelte. Kein Zweifel, alles stimmte. Mein erster spontaner Gedanke war eigentlich nur: Kann man so etwas verscherbeln, oder lohnt sich der Aufwand nicht?
Als ich einige Wochen später mit der Briefmarkensammlung bei einem professionellen Philatelisten vorsprach, zeigte ich ihm auch die Autogrammkarte.
Der Händler war nicht sonderlich beeindruckt, wollte mir aber immerhin ein paar Euro dafür zahlen. Doch aus einem plötzlichen Impuls heraus nahm ich Hermann Hesse wieder mit nach Hause und lehnte ihn an meine Nachttischlampe: Ich hatte ihn fast ein wenig liebgewonnen. Überdies wurde meine karge Wohnung durch die Anwesenheit eines weisen Mannes geheimnisvoll aufgewertet.
Meine Zuneigung steigerte sich in den nächsten Wochen auf merkwürdige Weise, so daß ich mir wünschte, weitere Charakterköpfe mein eigen nennen zu können. Jeden Abend, wenn ich vom Bahnhof zurückkam, arbeitete ich mich durch das dicke Lexikon der Autoren und lernte allmählich die deutschsprachigen Dichter der Neuzeit von Alfred Andersch bis Stefan Zweig gründlich kennen. Und so kam es, daß ich mich bei der nächsten Antikmesse im Rhein-Neckar-Zentrum ein wenig umsah. Tatsächlich entdeckte ich bei einem Antiquar ein paar signierte Karten, allerdings von Filmschauspielern der frühen Nachkriegsjahre.
»Haben Sie auch Schriftsteller?« fragte ich.
»Einige wenige, das ist nicht mein Spezialgebiet«, sagte der
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