Falsche Zungen
Mein Flokati - das einzige Stück, das ich zu Gretas Einrichtung beigesteuert hatte - lag bereits grau und schmutzig als Fußabtreter vor der Tür. Kein wärmender Ofen, kein duftendes Essen, kein Stern am Himmel, kein Silberstreif am Horizont, während in meinem ehemaligen Zuhause Greta und Dankward jetzt wahrscheinlich endlos weitersangen und die goldnen Garben einholten.
Es war herbstlich geworden, dieses ungeheizte Loch war eine Zumutung. Hoffentlich hatte mir Greta den dicken Pullover eingepackt. Als ich den Koffer öffnete, lag ganz oben ein Pizza-Karton. Wenigstens brauchte ich heute abend nicht zu verhungern. Begierig klappte ich den Dek-kel auf und zuckte zusammen.
Von allen monochromen Abendmahlzeiten waren mir die schwarzen Essen stets am widerlichsten gewesen. Vor mir lag eine zu Kohle verbrannte Pizza, garniert mit Lakritzstückchen, die wie Hasenscheiße aussahen. In der Mitte klebte mein Horoskop: »Fische - Wer wird denn gleich schwarzsehen? In Ihrem neuen Ambiente fühlen Sie sich wie ein Fisch im Wasser, und in der Liebe können Sie auf den größten Erfolg Ihres Lebens zurückblicken.«
Heute logen die Sterne wieder einmal das Blaue vom Himmel herunter.
Nasentropfen
Es regnet. An den dicken Eisenstäben vor meiner kleinen Zellenluke perlt das Wasser unermüdlich herunter. Ich singe: »Nasentropfen, die an mein Fenster klopfen ...«
An die Nacht, in der das Unheil begann, kann ich mich genau erinnern. Wir waren gerade eingeschlafen, als das Telefon klingelte und ich dringend ins Krankenhaus gerufen wurde. Nun, das kommt vor, im allgemeinen schlummere ich zwei Stunden später bereits wieder friedlich weiter.
Beim Einschlafen pflegte ich auf der rechten Seite zu liegen, meine Frau im übrigen auch. Meine Gedanken kreisten noch um den perforierten Blinddarm, als ich von einem zugigen Lüftchen angefächelt wurde. Hilde schlief sowohl auf der falschen Seite als auch mit einer verblüffend neuen Atemtechnik. Schnarchen konnte man es nicht direkt nennen, es handelte sich um ein aufdringliches »Püü-Haa«. Nur wenige Minuten lang konnte ich es ertragen. Ich stieß sie an, sie drehte sich weg, und der Spuk war zu Ende.
In der nächsten Nacht fuhr mir ein Sturmwind ins Gesicht, das Püü und Haa ging in ein ratzendes Sägen über. Das Weib wendete sich nicht mehr gehorsam ab, sondern wirkte unverdrossen auf meinen Herzinfarkt hin - die häufigste Todesursache bei Ärzten.
Eine nächtliche Bettflucht war unmöglich. Bei meinem Sohn mochte ich nicht um Asyl nachsuchen, seine Socken und Turnschuhe belästigten ein anderes meiner empfindli-chen Sinnesorgane. Bei der Tochter ging es schon aus Gründen des Anstands nicht.
Nach schlaflosen Nächten, heftigen ehelichen Auseinandersetzungen und Drohungen beriet ich mich mit einem Kollegen. Er empfahl Nasentropfen. Bereits am nämlichen Abend zwang ich Hilde, das Medikament zu nehmen. Mit Erfolg: Die Nasenatmung funktionierte wieder.
Wenn ich gedacht hatte, das Problem sei hiermit gelöst, so irrte ich. Anfangs nahm meine Frau die Tropfen mit künstlichem Eifer. Als echte Schlampe vergaß sie ihre Pflicht aber schon nach wenigen Tagen und begann wieder zu schnarchen, grauenhafter denn je. Sie mußte von mir gerüttelt, gerügt, ja gewaltsam beträufelt werden.
Dann begann sie mit diesen Ausflügen. Einmal im Monat besuchte sie ihre Freundin in der Stadt und übernachtete dort, obwohl man in zehn Minuten wieder zu Hause sein konnte. Diese Extravaganz bezeichnete sie als ihr gutes Recht. Niederträchtigerweise vergaß sie nie, die Tropfen in den Kulturbeutel zu packen. Bei meinen abendlichen Kontrollanrufen meldete sich niemand, selbst um drei Uhr nachts wurde der Hörer nicht abgenommen.
Sicherlich betrog sie mich. Bei mir wurde auf Teufel komm raus geschnarcht, mein Nebenbuhler dagegen durch lautlosen Schlaf beglückt. Insofern war es nicht verwunderlich, daß ich mich auf Hildes Geburtstagsfeier in ihre sanfte Freundin Sonja verliebte.
Kurz darauf reifte der geniale Plan, mich meiner Frau zu entledigen, ein für allemal. Vom Anästhesisten entwendete ich ein starkes Muskelrelaxans, das als Narkosemittel in flüssiger Form verfügbar war. Als Hilde erneut den Koffer packte, leerte ich die Nasentropfen aus dem Fläschchen, füllte es mit der gestohlenen Injektionslösung und legte das Überraschungsei in ihre Toilettentasche zurück, nicht ohne einen Markierungspunkt angebracht zu haben. Ich rechnete mit einem nächtlichen Atemstillstand und einem
Weitere Kostenlose Bücher