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Falsche Zungen

Falsche Zungen

Titel: Falsche Zungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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und schwach, Jennifer dagegen groß und kräftig war, hatte ich rasch einen Plan im Kopf.
    Marina war zwar verwundert, als ich ihr eines Tages anbot, mich auf einer sommerlichen Dienstreise zu begleiten, fühlte sich jedoch trotz hämischer Bemerkungen irgendwie geschmeichelt. »Das wurde aber auch mal Zeit«, knurrte sie und überlegte sofort, ob sie für den kurzen Trip nach Budapest neue Garderobe brauche. In einem Anfall von Großmut gestattete ich ihr zusätzlich den Kauf einer Perlenkette, die sich nach ihrem Tod als hübsches Hochzeitsgeschenk für Jennifer anbieten würde.
    Obwohl sich meine Frau und meine Freundin noch nie begegnet waren, buchte ich für Jennifer zwar vorsichtshalber einen separaten Flug, jedoch ein Zimmer auf der gleichen Etage. Ich wußte aus Erfahrung, daß die Stubenmädchen relativ spät zum Aufräumen kamen. Sie trugen alle eine kleine weiße Rüschenschürze; Jennifer hatte sich bereits in Deutschland eine ähnliche besorgt.
    An jenem verhängnisvollen Morgen verließ ich gleich nach dem Frühstück unsere Suite, um ein hieb- und stichfestes Alibi zu haben. Seit Ewigkeiten kannte ich Marinas Gewohnheiten und war mir sicher, daß sie vor dem geplanten Spaziergang zur Fischerbastei noch eine Weile herumtrödeln würde. Auf dem Weg zum Lift klopfte ich kurz an Jennifers Tür und übergab ihr meine HotelChipkarte. Sie sollte etwa eine halbe Stunde später bei uns eindringen und Marina ohne viel Federlesen über das Eisengeländer kippen. Natürlich durfte sie bei ihrer Blitzvisite auf keinen Fall beobachtet werden.
    Ganz in der Nähe lag das kleine Bistro, in dem ich mit meinem Geschäftsfreund Imre verabredet war. Von dort hatte ich die beste Aussicht auf die oberen Stockwerke unseres Hotels. Leider war ich so aufgeregt, daß ich zu keiner vernünftigen Unterhaltung fähig war und mich Imre verwundert fragte, was denn los sei. Auch mit ihm sprach ich über die schweren Depressionen meiner Frau: Ausnahmsweise hatte ich sie auf die Reise mitnehmen müssen, weil man sie mit gutem Gewissen nicht mehr lange allein lassen konnte.
    Zum Zeitpunkt des Sturzes wurde mir die Sicht leider von einem LKW blockiert, aber ich hörte pünktlich zum vereinbarten Termin entsetzte Schreie auf der Straße. Imre ging hinaus, erfuhr durch einen Passanten von einem Unglück im Hotel und rannte mit mir zum Tatort.
    Bereits von weitem sah ich, wie man eine Frau in einem blauen Mantel auf eine Bahre hob. Schon die Farbe des Samtmantels hätte mich mißtrauisch machen müssen, denn Marina hatte sich das bodenlange Cape für einen erhofften Opernbesuch gekauft. Es machte keinen Sinn, daß sie sich bereits am hellichten Vormittag derart herausputzte.
    Als wir näher kamen und uns einen Gang durch die Menge bahnten, stieß ich auf meine völlig verstörte Frau. Zu dritt steuerten wir das Foyer des Hotels an und ließen uns dort in die Sessel fallen. Marina schluchzte immer wieder: »Sie hatte mein neues Cape an!«
    Nach fünf Zigaretten war sie schließlich in der Lage, zusammenhängend zu berichten. Kurz nach meinem Weggehen habe das Stubenmädchen angeklopft, um die Betten zu machen; da sie nicht im Weg stehen wollte, hatte Marina den Raum verlassen. Was dann passiert war, konnte sie überhaupt nicht begreifen, denn sie stand noch mit dem Stadtplan auf der Straße, als ein Körper durch die Luft flog und sie um ein Haar erschlagen hätte. Fassungslos stellte sie fest, daß es das Zimmermädchen war, das seltsamerweise Marinas Abendmantel und ihre Perlenkette trug.
    Erst zwei Stunden später hatte ich die Gelegenheit, mit Jennifer zu sprechen. Sie fläzte sich auf ihrem Bett, trug nichts als das weiße Schürzchen und war betrunken. Alles im grünen Bereich, lallte sie, und ihr Pfannkuchengesicht glänzte. Marina habe vor dem Spiegel gestanden und sich selbstgefällig hin und her gedreht. Wie besprochen, hatte Jennifer zügig gehandelt, die kleine Gestalt blitzschnell geschnappt und aus dem bodenhohen Fenster befördert. Kein Mensch habe sie dabei gesehen, versicherte sie stolz, und ihre sonstige Tranigkeit war wie weggeblasen.
    »Es war gar nicht meine Frau, du hast ein armes Kammerkätzchen ermordet«, sagte ich aufgebracht und nahm ihr die Flasche weg. »Hör auf zu saufen, gib mir meine Keycard zurück, nimm ein Taxi, und verschwinde!«
    Es dauerte relativ lange, bis Jennifer begriff, daß sie alles falsch gemacht hatte. Meine Vorhaltungen brachten sie allerdings in Harnisch. »Hätte ich vielleicht erst fragen

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