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Falsche Zungen

Falsche Zungen

Titel: Falsche Zungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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meiner Schülerin irgendwo deponiert, wo ich sie nicht finden konnte. Dazu hattest du kein Recht.«
    Greta beteuerte scheinheilig: »Hab ich doch gar nicht. Ich wollte bloß, daß deine Ursula ihren Besitz umgehend zurückerhält. Ihr Bruder hatte heute bei mir Klavierstunde; war doch praktisch gedacht, ihm die Tüte mitzugeben.«
    Ich wurde leichenblaß. Lebhaft malte ich mir aus, wie dieser - sicherlich schlampige - Bruder zu Hause die Tüte fallen ließ, die Mutter sich neugierig darüber hermachte und das Büchlein mit meinen schweinischen Eintragungen demnächst Thema einer Elternbeirats-Sitzung sowie eines peinlichen Gesprächs unter vier Augen mit dem Direktor unserer Schule wurde. Und das war die harmloseste Variante.
    »Was hast du?« fragte Greta. »Wirst du krank? Habe ich etwas falsch gemacht?«
    Ich mußte tatsächlich ins Bad rennen, weil mir schlecht wurde.
    »Na, hat der Fisch die Fische gefüttert?« kalauerte Greta.
    Ich stöhnte bloß: »War das Büchlein in der Tüte?« Vielleicht bestand eine geringe Hoffnung, daß es noch irgendwo herumlag.
    Greta nickte. »Klar. Du mußt dir keine Sorgen machen, ist alles erledigt.« Anscheinend hatte sie das Heft in die Tüte gesteckt, ohne meine geschriebenen und gezeichneten Beiträge zu entdecken, andernfalls hätte sie nämlich ein solches Donnerwetter auf mich niederprasseln lassen, daß mir Hören und Sehen vergangen wären. Dennoch traute ich ihr nicht über den Weg, denn sie erschien mir allzu harmlos und freundlich.
    Wie sich im nachhinein herausstellte, hatte ich recht, Gretas hinterhältiger Racheplan gründete auf Langzeitwirkung. Zwar hatte Ursulas Bruder das Corpus delicti nicht seinen Eltern, sondern direkt seiner Schwester ausgehändigt, aber Ursula begann mich von da an systematisch zu erpressen. Entweder blieb sie dem Unterricht ganz fern, oder sie beschäftigte sich mit Aufgaben aus anderen Fächern. Für die Klausuren mußte ich ihr am Tag zuvor alle Fragen mit den richtigen Antworten auflisten, die sie dann nur abzuschreiben brauchte. Falls sie sogar dafür zu faul war, zwang sie mich trotzdem zur bestmöglichen Bewertung - beim Abitur des Bruders natürlich ebenfalls. Im übrigen erfuhr ich, daß Ursula einen fünfzehnjährigen Thomas liebte, den sie im Anschluß an mich regelmäßig besucht hatte. Seinem jugendlichen Überschwang war sicherlich die von Ursulas Mutter beobachtete Erschöpfung zuzuschreiben, unter der ihre Tochter nach den Proben offensichtlich litt.
    Doch in anderer Hinsicht hatte meine rasch erkaltende Liebe zu Ursula viel verhängnisvollere Folgen. Schon wochenlang hatte ich nichts Warmes mehr zum Essen erhalten, sondern mußte jeden Abend schauen, wie ich satt wurde. Die Wohnung war leer, meine Wäsche blieb schmutzig, im Kühlschrank fand ich nur noch ein Glas Gurken. Mir ging es beschissen.
    Eines Tages kam ich heim und roch schon in der Diele einen lang entbehrten köstlichen Duft nach Speck, Sahne, Rotwein, Knoblauch und Divine. Greta und Dankward saßen in trauter Zweisamkeit auf dem Sofa. »Wir haben mit dir zu reden«, sagte sie. Ich ahnte nichts Gutes.
    »Dankward wird heute hier einziehen«, sagte meine langjährige Freundin, »und deswegen mußt du jetzt raus, denn für drei wird es zu eng. Schließlich war und ist es meine Wohnung. Wir haben schon angefangen, deine Sachen zu packen.«
    Ich protestierte. Woher sollte ich von einer Minute auf die andere eine neue Bleibe finden?
    »No problem«, beruhigte mich Dankward, »du kriegst meine Bude, die wiederum für zwei nicht ausreicht. Und falls du wider Erwarten eine neue Partnerin finden solltest, kannst du vielleicht hierher zurückkommen, weil es uns im nächsten Jahr zu eng werden könnte.«
    »Aha!« sagte ich. Mehr fiel mir vorerst nicht ein. Aber dann wollte ich doch zeigen, daß ich kapiert hatte und ein fairer Verlierer war, dem das alles nicht das geringste ausmachte. Mühsam scherzte ich: »Für eure künftige Hausmusik müßt ihr aber mindestens Zwillinge kriegen.«
    Greta behauptete: »Kanon singen macht bereits zu dritt viel Freude«, drückte mir einen Koffer und die Autoschlüssel in die Hand und röhrte los: »He-joo, spann den Wagen an!« - Und der falsche Dankward brüllte hinter mir her: »Es müssen mindestens Drillinge sein, wenn man eine Big Band plant!«
    Ich sagte nichts mehr, aber wünschte insgeheim, daß sie vor lauter Blagen keine Luft mehr kriegen sollten.
    Der Wind trieb Regen übers Land, als ich in Dankwards dunkle Stube trat.

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