Falscher Ort, falsche Zeit
meines roten Werkzeugkastens. Dann nahm ich mir den Schreibtisch und alle anderen Tische vor und öffnete alle Schubladen, auf die ich stieß.
Zwei Wände in Angeliques Schlafzimmer waren von gerahmten Fotos bedeckt. An der Wand links vom Bett waren es durchweg Bilder von ihr selbst, entweder mit einer blauäugigen Frau mit olivfarbener Haut und blonden Haaren oder mit einem schlanken, blassen jungen Mann mit schwarzem Haar und stechenden Augen. Sie lachte mit Blondie beim Karneval in Rio und Arm in Arm mit dem jungen Mann in Rom. Meine ahnungslose,vielleicht sogar unwillige Klientin lächelte oder lachte auf jedem Foto. Und auf keinem einzigen Bild wirkte es aufgesetzt oder falsch.
An der Wand gegenüber dem Fußende des Bettes hingen ihre Zeugnisse und Diplome – von der Grundschule bis zu ihrem Master an der New York University. Das Bett war ordentlich gemacht. Das orangegelbe Laken war hier und da ausgefranst.
Der Nachttisch enthielt Papiertaschentücher, eine Schachtel Kondome und ein Paar Handschellen aus pinkfarbenem Plüsch – so weit keine besonders sachdienlichen Hinweise.
Der Fußboden war aus unbehandelter Eiche, nur im Bad lag ein altweißer PVC -Boden aus, mit kleinen Quadraten in knalligen glänzenden Konfettifarben.
In ihrem kleinen Bücherregal drängten sich die Klassiker, von den Brontë-Schwestern bis Melville, von Shakespeare bis Flannery O’Connor. Die Taschen ihrer im Schrank hängenden Kleidung waren leer, genau wie die Handtaschen und Koffer auf den Regalböden darüber.
Ich hatte keine Zeit für eine gründliche Durchsuchung, war mir jedoch nach etwa zwanzig Minuten sicher, dass Angelique das ereignislose Leben der meisten jungen Frauen ihres Alters führte. Sie war einfach ein unbekümmertes Mädchen mit einer Ausbildung und einem Job, das zwei Mal im Jahr Urlaub machte und ein gesundes Interesse an Männern hatte. In ihrem Medizinschrank fand ich keine Antidepressiva oder Schlaftabletten, keinen versteckten Vorrat an Hasch oder härteren Substanzen.
Ich fragte mich, wie eine so normale junge Frau etwas mit einem Mord oder – schlimmer noch – mit Alphonse Rinaldo zu tun haben konnte.
»Hallo?«, fragte eine Stimme an der Wohnungstür.
Ich zog ein glänzendes schwarzes Plastikkästchen aus der Tasche, eineinhalbmal so lang und drei Viertel so breit wie ein klassisches BlackBerry. Ich drückte auf einen Knopf, und an der Vorderseite der Attrappe leuchtete ein gelbes Licht auf.
Ich huschte in den Flur, stellte mich vor die Badezimmertür und sagte: »Ich bin hier.«
Mit ein paar schweren eiligen Schritten stand Klott im Eingang des kurzen Flures.
»Was machen Sie hier?«, wollte er wissen.
»Meinen Job.« Ich hielt den kleinen Kasten vor mich, als würde ich etwas ablesen.
»Wie sind Sie hier reingekommen?«
»Die Tür war nicht abgeschlossen, und ich habe Gas gerochen. Riechen Sie es auch?«
Klott schnupperte und wandte sich der Küche zu. Ich folgte ihm, das Kästchen vor mich haltend wie ein Uranprospektor einen Geiger-Zähler.
Als ich die Küche betrat, drückte ich mit dem kleinen Finger auf einen Knopf an der Unterseite, und das gelbe Licht wurde langsam rot.
»Sehen Sie?«, sagte ich, hielt den Kasten näher an den Herd und drückte heimlich erneut auf den Knopf. Das rote Licht fing an zu blinken.
»Was ist das?«, fragte Klott.
»Das Neuste vom Neusten. Wir benutzen es, um austretendes Gas aufzuspüren. Solange das Licht weiß ist,ist alles okay. Vor der Wohnungstür hat es dunkelgelb geleuchtet.«
»Wie sind Sie hier reingekommen?«, fragte Klott noch einmal.
»Es war offen.«
»Ich überprüfe jeden Abend jede Wohnung. Die Tür ist seit einer Woche abgeschlossen, und die Mieterin war nicht hier.«
»Dann war sie wohl hier, als sie nicht aufgepasst haben, und ist eilig wieder aufgebrochen, denn die Tür war nicht abgeschlossen und ist auch erkennbar weder aufgebrochen noch sonst irgendwas.«
Klott inspizierte die Wohnungstür.
»Was haben Sie in diesem Teil des Hauses zu suchen?«, fragte er.
»Man benutzt den Detektor, um sicherzugehen, dass Gas nicht an verschiedenen Stellen austritt«, sagte ich, als ob ich aus einer Bedienungsanleitung zitieren würde.
»Lassen Sie mich das Ding mal sehen«, sagte er und griff nach dem Kasten.
Ich wehrte ihn mit der linken Handfläche ab. Er prallte einen halben Meter zurück. Nachdem wir nun beide wussten, wer der Stärkere war, würde er es nicht noch einmal mit körperlicher Gewalt versuchen.
»Pack mich
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